1349 – Dødskamp
~ 2019 (Season of Mist) – Stil: Black Metal ~
Was fällt einem Mitteleuropäer zu Norwegen ein? Fjorde und Fjells, Wikinger und Wintersport, Erdgas und Elektroautos, Stabkirchen und herausragende Sozialpolitik, Polarlicht und ‚Peer Gynt’. Womit wir bei der Symbiose der schönen Künste angekommen wären, wurde doch in Norwegen Edvard Griegs berühmte, nationalromantische Schauspielmusik für die Bühnenfassung von Henrik Ibsens dramatischem Gedicht komponiert, und später zusammengefasst in den beiden weltberühmten Suiten.
Auch ein weiterer Namensvetter Griegs sollte durch seine stark expressiven Gemälde, man denke nur an ´Der Schrei´, weltbekannt werden: Edvard Munch. Für die im Juni 2020 geplante Eröffnung seines neuen Museums in Oslo hat sich ein Zusammenschluss der Organisationen „Innovation Norway“, dem Fremdenverkehrsportal „Visit Norway“ und dem Munch Museum nun wieder auf die synergetische Wirkung verschiedener Kunstformen besonnen, und vier populäre norwegische Musiker und Bands gebeten, sich ein Munch-Gemälde frei auszuwählen und es zu vertonen.
„Munch + Music“ heisst das spannende Projekt, das Künstler aus so unterschiedlichen Genres wie Tamil Folk Rock (9 GRADER NORD – mit dem Bild ´Das kranke Kind’), House/Electro (MATOMA feat. RUBEN – mit dem Bild ´Pubertät´), Electro-Pop (GUNDELACH – mit dem Bild ´Selbstporträt in der Hölle´), und – wie könnte es anders sein im Ursprungsland der „zweiten Welle“? – natürlich auch Black Metal vereint. An den ´Schrei´ hat sich dabei keiner gewagt, doch handeln zwei der ausgewählten Gemälde vom Tod, der Munchs Leben seit seinen Kindertagen begleitete, sowie den mindestens genauso persönlichen Themen Pubertät und einem Selbstporträt voller Seeelenqual. In kurzen Videos erläutern die Musiker ihre jeweilige Auswahl, und immer wieder tauchen dabei die Worte „raw“, „dark“, „primitive“, „sad/melancholic“, „magic“ oder auch „emotion“ und „hope“ in ihren Statements auf.
Munchs Kunst evoziert innere Bilder und vor allem Gefühle im Betrachter, die zur tiefen Innenschau einladen und an die Grundfesten der menschlichen Existenz rühren; seine wie unfertig wirkenden und oftmals übermalten Werke waren stilistisch wie inhaltlich ihrer Zeit weit voraus. Jeder kennt die von ihm angesprochenen Erfahrungen und findet sich heutzutage sofort in seinen Hauptthemen Liebe, Schwermut, Angst und Tod wieder; zu seiner Zeit war es jedoch ein Tabu, Privates öffentlich zu machen, und so war seine Arbeit für den psychisch labilen Maler eine Art Selbsttherapie, um die vielen Erkrankungen und Todesfälle in seiner eigenen Geschichte zu verarbeiten, seine Stimmungen und Empfindungen nach aussen zu bringen und damit auch anderen Menschen dabei zu helfen, ihre Probleme zu reflektieren und zu artikulieren.
Und in welcher Kunstgattung ist dies schon immer der Fall gewesen, woraus hat stets ganz unmittelbar die Seele gesprochen? Nichts passt daher so perfekt zu Munchs Bildern wie Musik!
“Munch’s art literally screams inside your head.” – 1349
Die Osloer Black Metal-Institution wurde als Vertreter der härteren Gangart in diesem Musiker-Quartett ausgewählt, und nähert sich ihrer Aufgabe so selbstbewusst wie ehrfürchtig an. Das Gemälde ´Todeskampf´, oder mit deutschem Titel ´Am Totenbett´, zeigt eine Szenerie um einen gerade zuhause Verstorbenen, möglicherweise ein Kind. Während die Angehörigen in verschiedenen Stadien der Trauer wie eingefroren, unter Schock und völlig hilflos erscheinen, geht eine Dynamik von der letzten Ruhestätte aus, die man nur als die den leblosen Körper verlassende Seele interpretieren kann. Dass hier zuvor ein Kampf zwischen Leben und Tod stattgefunden hatte, spiegelt sich in den Trauernden, die selbst noch nicht loslassen können.
Diese Zerrissenheit, angesichts des Übergangs, der genauso zum Leben gehört wie die Geburt, wird von 1349 meisterlich interpretiert, und findet sich auch im Refrain wieder: „Death breeding life, death breeding death“, der Tod ist der letzte und höchste Herrscher, dem sich ausnahmslos jeder zu seiner Zeit beugen muss. Das Quartett hat von seinem üblichen „Aural Hellfire“ zwei Gänge heruntergeschaltet und lässt die melodischen Schichten der Komposition damit nur noch deutlicher hervortreten. Wie es Gitarrist Archaon angesichts des Originalgemäldes ausdrückt: meist muss man zuerst einen oder zwei Schritte zurücktreten, um nicht nur die rohen, primitiv wirkenden Pinselstriche zu sehen, sondern ein Kunstwerk in seiner Gesamtheit wahrnehmen zu können – so wie man sein Gehör erst einmal trainieren muss, um Black Metal in all seinen Details zu erfassen. 1349 (“Mit Frost, dem Überdrummer” – ROMANO, ´Metalkutte´, auch ein Beispiel für Genre-übergreifende Musik…) machen es dem ungeübten Hörer mit diesem Song tatsächlich etwas leichter, trotzdem ist ihr ungestüm-aggressiver Stil keineswegs verwässert. Für mich ein kongenialer Paukenschlag, der ein hochemotionales Bild perfekt interpretiert und die schwarzen Künste noch weiter in den allgemeinen Fokus bringen wird. Und wenn die PR-Empfehlung des ´Inferno Festivals´ es tatsächlich schafft, weitere Interessenten zu diesem Genre hin zu führen, ist der Auftrag vollends erfüllt.
Auf der B-Seite der Single gibt es für den Fan noch eine Liveversion von ´Atomic Chapel`, doch ´Dødskamp´ bleibt das, um was es hier eigentlich geht.
(ohne Wertung)
“(Munchs) works are tremendously dark and eerie, reflecting a lot of anxiety, pain and loneliness, in the way I perceive them. So, it suited us perfectly. I chose the work ‘Dødskamp’ which directly translates ‘Death Struggle’ and speaks volumes for itself. It was an emotionally heavy task, and also a completely new way to compose. As well as some very long nights, bereaved of sleep. In the end though, it was worth it. This is the soundtrack to the dilemmas of mortality.” (Archaon, 1349)
(VÖ: 04.04.2019)