PSYCHOMETRIE – Psychometrie
~ 2017 (Independent) – Stil: Paraskavedekatriaphilie-Ambient Rock ~
Wenn eine Platte komplett ist, alles aufgenommen und abgemischt wurde, wird sie veröffentlicht. Oder?
Nun, normalerweise schon …
Jetzt stellt Euch jedoch einmal folgendes vor: ein Album wird niemals fertig, kann gar nicht fertig werden – es wächst immer weiter, findet kein Ende, weil es kein Ende gibt, weil immer wieder neue Erfahrungen verarbeitet werden wollen, sich neue Perspektiven eröffnen, und folgerichtig neue Lieder dazukommen…und das über viele Jahre hinweg. Ein Konzeptalbum, aber mit ungewissem, offenem Ende.
Hochspannend, nicht wahr?
Willkommen in der Welt von PSYCHOMETRIE!
Bei diesem deutschen Ein-Mann-Projekt steckt der Teufel im Detail, alles ist genau durchdacht und berechnet, selbst die Spielzeiten der einzelnen Stücke. Doch ein vollendeter Tonträger existiert nicht. Natürlich will die Musik trotzdem dahin, wo sie hingehört: wo sie gehört wird, unter die Leute. Daher veröffentlicht Kai Ner seit 2014 völlig anonym einzelne Kapitel in ihrer natürlichen Reihenfolge, und zwar ausschliesslich und stets an einem Freitag, dem 13.!
Ein Tag, um den sich viele Mythen ranken, gilt die 13 im deutschen Volksglauben doch als das Dutzend des Teufels, während sie in Israel und Japan Glück bringen soll; für Katholiken ist der (Kar)Freitag ein Fasten- und Trauertag, Protestanten heiraten dagegen gern Frei-tags, und ob der „schwarze Freitag“ des historischen Börsenkrachs 1929 tatsächlich nicht Donnerstags begann ist Diskussionssache. Für Kai steht er jedoch für die Gewissheit, dass es Zufälle nicht gibt.
Jedes Kalenderjahr hat mindestens einen und höchstens drei Freitage, die auf einen Dreizehnten fallen, zehn Kapitel sind es so bislang geworden, und sie alle erzählen eine eigene, abgeschlossene Geschichte, die wiederum Teil einer imaginären Reise ist. Diese entwickelt sich entlang des Erzählstranges als konzeptuellem rotem Faden, der alles miteinander verknüpft. Und so sind (fast) alle Stücke auch musikalisch völlig eigenständig und unterschiedlich, in Stimmung wie Tempo oder Klangfarbe und Instrumentierung. Selten sind gesprochene Worte zu hören, und stets trägt die elektronische Klaviatur mit all ihren Wandlungsmöglichkeiten den Großteil der Kompositionen, ergänzt von oft deutlich schwarzmetallisch eingefärbten Gitarren und Schlagzeug, Perkussion, Field Recordings und Naturgeräuschen.
Das ist Musik, die das Prädikat „entschleunigend“ tatsächlich verdient, die einzelnen Stücke sind meist um eine Viertelstunde lang oder haben teilweise sogar EP-Länge. Sich darauf einzulassen, benötigt, bringt aber auch viel Ruhe; sie tragen die Hörer hinfort in eine andere Welt – die von Kai. Es ist ein oft schwebendes, tastendes, mäanderndes, oft geradezu meditatives Universum, das jedoch sämtliche Gestimmtheiten umfasst, sowohl die hellen wie auch die dunkleren Seiten des Daseins.
Ohne zuviel verraten zu wollen, wird hier von einer Geist- oder Seelenreise erzählt; sie beginnt 2014 mit ‚Wach’, dem erstaunlich positiv gestimmten Verlassen des toten Körpers und setzt sich danach fort mit der allmählichen Loslösung von irdischen Lasten (das melancholische, postrockig/metallische ‚Unter Anderen!’ sowie mein Favorit, die perfekte Vertonung eines Gefühls: das vielschichtige ‚Frei’ mit seinem ständig wiederaufgenommenen Motiv).
Die immerwährende, in vielerlei Form abgewandelte Wiederholung bekannter Tonfolgen und ihr wellenförmiges An- und Abschwellen von An- und Entspannung machen die Faszination von PSYCHOMETRIE aus. Das Element Wasser ergänzt dies sehr gut, und die genauso anspruchsvolle wie treffende graphische Umsetzung der jeweiligen Themen in Blautönen unterstreicht das Fliessende nochmals.
Eine Ausnahme, weil kürzer als alles andere, bildet das miteinander verwundene Kontinuum ‚Leere los’ / ‚Schwere los’, ein instrumentales Spiel zwischen absoluter Leere und komplettem Loslassen. Perfekt auch in Dauerschleife!
Danach führt der Weg mal ans Meer (das futuristische ‚Versunken’) oder in tiefe Wälder (‚Anhaltend’), und wird entgegen dem ursprünglichen Plan nicht mit ‚Fortwährend’ beendet, sondern setzt sich auch heute weiterhin suchend und ausprobierend fort.
Wer also Kais Weg kennenlernen und weiter begleiten möchte, sollte sich zur PSYCHOMETRIE-Bandcamp-Seite begeben, wo alle bisherigen Stücke zu finden sind. Und noch ein kleiner Tipp: die nächsten beiden Freitage am 13. des jeweiligen Monats sind in diesem Jahr im September und Dezember zu finden. Und auch dann werden wieder neue Kapitel aufgeschlagen werden. Also – Augen und Ohren auf! Ihr wollt doch nichts verpassen?
(ohne Wertung bis zur Vollendung des Hörspiels)