BOTSCHAFT – Musik verändert nichts
~ 2019 (Tapete Records) – Stil: Soft Rock ~
Das ist der Stoff aus dem Träume entspringen. Wir liegen, völlig tiefenentspannt an einem glänzend weiß gefliesten Swimmingpool und blinzeln in die strahlende Sonne, falls wir die Sonnenbrille von der Nase heben. Es werden Cocktails, kalt und gut mit Eiswürfeln sowie Alkohol gefüllt, gereicht. Höchstens eine Möwe unterbricht die Ruhe an diesem Tag. Liegestühle und riesige Handtücher, großflächig wie halbe Tennisfelder, breiten sich ringsherum aus. Schwitzende Leiber, männliche an weiblichen, weibliche an männlichen, oder auch unorthodox, reiben sich aneinander. Nicht zu eilig, in der Hitze geben Gelassenheit und Langsamkeit das Kommando an.
In einem Meer voller Arme und Beine, voller Brüste und Pobacken, voller Köpfe und Füße bin ich beseelt – erfüllt von Besinnlichkeit und Warmherzigkeit zugleich. Sekunden und Minuten vergehen, die Zeit ist ein dehnbarer Begriff in der undurchsichtigen Unendlichkeit. Stunden und Tage ziehen vorüber. Ein Höhepunkt folgt auf den nächsten. Das Leben besteht nur noch aus solchen.
Zwischendurch erklingen sanfte Percussions, die dazugehörigen Gitarren- und Bass-Saiten werden von nackten Schultern vor wackelnden Hinterteilen getragen. “Der bloße Schein einer schönen Idee”, wird besungen, bringt jedoch niemanden bei diesem Sonnenschein des Lebens aus seiner Stellung. Die Körperteile sind weiter miteinander verschlungen. Ich denke an späte BLUMFELD und KANTE, dennoch hält mich die andauernde Erregung vor weiteren Gedankenspaziergängen ab.
Wer hat überhaupt diese Musikgruppe an den Pool gelassen? Wie eine BOTSCHAFT blinkt der Gruppenname von der Neon-gelben Lichtreklame. Jetzt wollen sie uns auch noch an Berlin, an den im Ortsteil Alt-Treptow des Bezirks Treptow-Köpenick angelegten ´Treptower Park´ erinnern. Obwohl nur Sänger Malte Thran aus der Hauptstadt stammt, winken alle Bandmitglieder mit weißen Taschentüchern, täuschen tränenreich ihr Heimweh vor. Eine Schönheit – das Lied – wie aus goldenen PREFAB SPROUT-Zeiten. Das Quintett singt: “Mein Körper sagt mir nur, bitte denk nicht an sie.” Nur, wie soll ich sie vergessen, meine Herzensdame, diese Schöne der Schönen, die momentan meine Körperteile umrankt.
Diese melancholische Stimme findet gleichwohl Gefallen, singt sie derweil von Gärten und Geschehnissen ´Hinter dem Haus´. In einem kurzen und klaren Gedanken kommen mir STEELY DAN in den Sinn, ein US-amerikanischer Spirit und kein teutonischer zieht ebenso in ´Zwischen den Jahren´ durch eine aufkommende Brise Meeresluft. Ein Lied für den Moment über die Vereinigung mit diesen und jenen. Falls ich es nicht völlig falsch verstehe. Aber lenkt mich nicht ab, Jungs, werden in diesen Stunden gerade viele Bilder aus dem Kamasutra ausprobiert. Wir wachsen gemeinsam zur vollen Größe heran, schießen nie über das siedend heiße Ziel und empfangen seelische Gaben. Niemand ist oben, niemand unten, niemand Gebieter, niemand Untertan. Und die Band singt in ´Herrschaftsfrei´: “Der Kampf mit ihr und der Wirklichkeit”, geschrieben wohl, bevor wir uns in dieses Paradies verirrt hatten.
Dagegen entspricht die musikalische Darbietung von ´Atom´ der gegenwärtigen Situation. Soft Rock für die gewissen Stunden, und das Solo dehnt Ihr morgen, mit etwas Mut, ordentlich aus. Denn an diesem Ort gibt es keine ´Niederlagen´, jeder fügt sich in den für ihn in diesem einen Moment bestimmten ´Daseinszweck´. Das ist “das schönste Gefühl”. Das sind die Superlative des Lebens, ein Gipfel nach dem anderen wird erreicht.
Oh, Schreck, wir wurden ´Sozialisiert in der BRD´. Bei diesen klangvoll gesungenen, harschen deutschen Wörtern – wieso leben ZIFF nicht mehr? – rüttelt mich Kaia wach. Meine Augen sträuben sich, sie zu öffnen. Widerwillig gehen die Augenlider auseinander. “Ich werde niemals wieder aufrecht gehen”, tönt es aus allen Boxen des Baumhauses. War die körperliche Haltung und Beschäftigung in meinen wundervollen Träumen dermaßen anstrengend? Natürlich, “es wird weitergehen”, die Knochen knacksen beim Recken und Strecken.
Jetzt ist es mitten in der Nacht. Bis auf einige Kerzen ist das Baumhaus von Finsternis erfüllt. ´Trotzdem´ schaue ich mich irritiert um, hatte ich doch vor wenigen Sekunden noch einen strahlenden, sonnendurchfluteten Himmel vor meinem geistigen Auge. Wir liegen auf dem Kanapee, auf dem kleinen Beistelltisch neben uns liegt ein Silberling von BOTSCHAFT neben dem von MANUEL SCHMID & MAREK ARNOLD. Nun finde ich langsam wieder in die triste Realität zurück. Grau und trostlos? Keineswegs. Ich presse mich mit purer Leidenschaft an Kaia, verschlinge sie mit Haut und Haaren. Ich hole mir das glänzend weiße Sonnenlicht in das wahre Leben zurück. Die Musik spielt. Sie verändert ganz und gar.
(8 Punkte)
(VÖ: 8.2.2019)