KARIN RABHANSL – Tod & Teufel
~ 2018 (Donnerwetter / Cargo) – Stil: Pop / Rock / Singer – Songwriter ~
Auch wenn die Latte an hervorragenden Neuerscheinungen immer weiter wächst und sich kaum mit meinem Zeitkontingent als Hobbyschreiberling vereinbaren lässt, muss ich ein weiteres Mal ins Jahr 2018 zurückblicken.
Es war 2018 – nur, ich weiß es schlicht und ergreifend nicht mehr so genau, denn momentan gehe ich mit schnellen Schritten auf die magische Fünfzig zu, also lässt mich mein Gedächtnis des Öfteren im Stich. Aber ich glaube, es war eine persönliche Empfehlung von Mick Shark. Anscheinend einer dieser Tage, als Kaia nicht zu Mick kam, er keine Pilze hatte und ich beim Hören dieses Werkes mit ihr in meiner Hütte an eine alte Weise dachte: “Die Julischka, die Julischka aus Buda-Budapest – DAS ist ein Mädel, die halt ich mir fest und trink mit ihr Tokajer, bis sie sich mal küssen lässt.”
So weit muss man heuer nicht fahren, denn die niederbayrische MELISSA ETHERIDGE heißt KARIN. RABHANSELs ihre.
Und sie weckt in mir ähnliche Gefühle wie besagte Julischka – auf musikalischer Ebene. Sie ist wortgewandt, erzählt Geschichten im Dialekt und auch für den Hannoverhochdeutschgeschulten. Wie gut Karin singt und dass sie auch fremde Hits mit Pop-Appeal zu ihrem eigenen Liedgut machen kann, beweist direkt schon der Opener ‚Wenn’s dir a Freid mocht‘, mit dem sie SHERYL CROW zeigt, wie der Freistaat tickt.
Mia sann lang, lang weg von do, ziag mei Lederjackn a und spoi für de Schmeißfliang
und sauf, bis I glei wieder Durscht hob. Mia hamm gsuacht am grindigsten Flohmarkt.
Hamm an Wolpertinger gfundn und s’Shampoo vom Ludwig und s’Notizbuch von da Liesl Karlstadt.
Is ok, i hob’s verkackt. I versprich da, i gib niamois ned auf
Der groovende Rocker ‚Dieses Heulen‘ ist traurig, nachdenklich und einfach saustark und weckt Erinnerungen an rockende, dunklere SILLY Songs der Tamara Danz (R.I.P.) – Ära. Karin erfindet bayuvarischen Blues-Americana mit durchweg fantastischen Gesangslinien auf den Spuren BETH HARTs :‘Wenn I doad bin‘ – „muss I zum Deifel“ Jetzt wird es mir klar. Mick weiß, dass Gott mir zu abstrakt ist und ich folglich keine Angst vorm allgegenwärtigen Satan habe. Und dessen stiller Diener ‚Der Leiermann‘ kann mich auch mal.
Mit dieser Musik fühle ich mich eh unsterblich. Ja, sie spricht es aus, überlässt die ganze Verantwortung, die Hilflosigkeit und den Hass nicht alleine euch und hat verstanden, wie das Dasein auf diesem fragilen Planeten funktioniert. Denn: Wow – oder UFFF! – welche Intensität diese Frau an den Tag legt. Stimme und Instrument erzählen gleichermaßen vom wahren Leben. Somit erzählt eines der traurigsten Klagelieder des Alterns, wie es ist, ‘Aloa’ zu san (‚Alleine‘ – liebe Hanseaten und Nordlicher) mit oaner meisterhaften Dynamik von Ruhe und Aufwühlung. Entschuldigt den lächerlich-preussischen Ausrutscher in Dialektik, aber ich bin voll drin und mein Geist wird wird vom südlichen Slang aufgesogen – Widerstand ist zwecklos.
Koid is, wicklst de in Duchad ei. Seit heid bist 90 Joa auf da Woid.
Dei bester Spezl, der da feid und währendst na sinnierst schlofst du ei.
Wennst schlofst bist nia, dann bist nia aloa.
Koid bist, dei Herz ganz stad, iatzt bist nie mehr aloa.
Mystisch und geheimnisvoll leuchtet des ‚Liachtal‘, welches uns ab nun den Weg in dunkle Träume erhellen wird. Okkult-Bands mit weiblichen Priesterinnen würden Ihre Seele verkaufen, um dieses Lied auf dem Album zu haben. Unsere Rettung (Hihi – auch ein Titel von OOMPH! – warum fällt mir das gerade ein?) kann auf diesem Album auch der Denkanstoß zum Alltäglichen sein. Karin steht nämlich mitten im Leben und weiß neben Abstraktem mit intelligenten Texte über Liebe, Organhandel, Schönheitswahn und Konsumterror zu überzeugen.
Was kostete ein Herz?
Liebe und Weltschmerz.
Nimm’ was Du brauchst, der Dolch liegt bereit.
Die Coverversion ‚60 Watt Sonne‘ der legendären Kieler KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFFEN passt daher perfekt in ihr Gesamtwerk: Es gibt schön aufs Maul für den Rocker und gleichzeitig ein Selbstdenkrätsel für alle unzufriedenen Hamsterradläufer des immer wieder kehrenden Zyklus „Schlafen – Arbeiten – Essen“. Welch‘ frischer ‚Wind‘ hier aus Ludwigs Heimat weht.
Warum ich darüber schreibe? Weil die Musik die Intensität unseres geliebten Metal hat und diesmal jeder in diesem Lande die metallischen Grundthemen verstehen kann – dass es zwar Rainbows gibt, die auch schön anzusehen sind, Love Arbeit ist, wir manchmal ausbrechen müssen, die Swords zum Heaven recken und fighten angesagt ist in diesem einen Leben. Wer will schon vollständig ‚Erwachsen‘ sein? Oder heißt es „entwachsen“, wenn einem alles egal ist außer dem täglich‘ Brot?
Weißt du noch früher: Wir waren nicht cool, aber gut drauf.
Mit Angst vor den Spießern und lupenreinem Lebenslauf.
Der Ernst des Lebens war nur so ein komischer Typ.
Wir wollten alles werden, nur nicht erwachsen.
Was mit ‚Sie‘ als Barnummer beginnt, entwickelt sich zum fast progressiven Allrounder mit Abgeh‘-und Schreifaktor und beschreibt männliches Begehren als glücklose Jagd nach hilflosen Opfern. Dass jemand intensivst über die Zwänge und Ausgrenzung durch eine gerne verschwiegene Krankheit bei ‚Haut‘ singt, ist mir seit OOMPHs ‚Meine Wunden‘ (1998 – Album ‚Unrein‘) nicht mehr so unter meine Selbige gegangen – auch wenn letzteres das Physische auf die Psyche überträgt.
Kommen wir zum Wehrmutstropfen: Wer kauft noch Singles? Ich. Denn Karin zwingt mich durch das Fehlen zweier Fetzer, die nicht ungehört bleiben sollten, meinen Blick auf die albumbegleitende Nebenveröffentlichung ‚Wenn I doad bin‘ zu richten, die leider nicht wie erhofft als Bonussingle oder auf dem Downloadcode enthalten ist: Sie kann auch anders: ‚Auseinander’ fetzt RAMONES-punkig bis MOTÖRHEAD-ig aus den Boxen. Und das ‘Heimspiel’ zeigt euch, dass nicht nur DIE TOTEN HOSEN was von Fußball verstehen. Nein, wahre Fanmädels können sich auch gepflegt besaufen und ihren „Mann“ stehen.
Dazu ein Artwork von Johannes Stahl, welches mit seiner eindringlichen Kunstfertigkeit nicht nur Comicfans begeistert, sondern dem Kleinhirn den Befehl gibt: „Kauf mich“. Hau ab, du Teufel – diese Platte wurde leider von mir zu spät entdeckt, steigt aber posthum (es geht nur um 2018 – nicht um die Künstlerin) zumindest in meinem Gedächtnis ein in die Endwertung der besten 30 Alben des Jahres 2018. Schmeißt raus, was ihr wollt – KARIN RABHANSL gehört rein. Für aufgeschlossene Musikfans und auch Hobbysatanisten (bitte, bitte NICHT zu Ernst nehmen, Gott vergibt euch).
Genug gelabert, das rhythmische Knacken seit einer halben Stunde verrät: Die Platte ist rum. Was ich jetzt mache? Umdrehen auf die A-Seite und die dazugehörige Single bestellen!
(Punkte bei mir durch persönliche Nachricht nachzufragen – wer sie wirklich braucht. Sind momentan ALLE in Niederbayern)