ULTHA
~ Interview mit Chris und Ralph zu
´The Inextricable Wandering´~
ULTHA, eine der absoluten Speerspitzen des innovativen deutschen Black Metal, haben mit ihrer letzten Veröffentlichung nicht nur mitten in mein schwarzes Herz getroffen und die Platte des Jahres 2018 abgeliefert. Dieses hochintensive, aufwühlende Konzeptalbum zum Thema “Angst” sprengt nicht nur stilistisch Genregrenzen, sondern bietet auch inhaltlich eine Menge Stoff zu Reflexion und Nachfühlen. Höchste Zeit daher, Ralph (Vocals, Gitarre) und Chris (Vocals, Bass) ein paar Fragen dazu zu stellen!
Hallo Chris, hallo Ralph!
Aller guten Dinge sind drei, sagt man – meine tiefe Verbeugung vor ’The Inextricable Wandering’, eurem dritten Studioalbum, das für mich einen absoluten Meilenstein der letztjährigen Veröffentlichungen im Metal markiert!
Ich stelle mir seinen Entstehungsprozess extrem fordernd vor – sowohl psychisch wie auch technisch. Zum ersten Themenbereich kommen wir später noch, jetzt soll es um die Kompositions- und Studioarbeit gehen.
Ralph, du hast mehrfach gesagt, dass dich diesmal ganz andere Bands begleitet und inspiriert haben. Wer war das beispielsweise, und was hörst du aktuell? Sind die Musikgeschmäcker innerhalb der Band sehr unterschiedlich? Was läuft bei euch so im Tourvan – falls überhaupt Musik läuft? Und hört ihr eigentlich eure eigenen Alben nach Veröffentlichung noch selbst an?
R: Erstmal Danke für die lobenden Worte und das tolle Review zur Platte (siehe hier). Es tut gut, wenn sich jemand wirklich Zeit lässt, sich auf eine Platte einzulassen. Wir schreiben halt keine Musik, die man mal eben kurz hört und dann ein Review schreibt.
Ein Album aufzunehmen ist für mich persönlich immer der schwerste Teil, weil ich einfach das Schreiben und Live spielen dem Arbeiten im Studio bevorzuge. Diesmal war aber leider sogar der Prozess des Schreibens unglaublich schwer, weil es mir extrem dreckig ging. Die Ereignisse, die zu ’The Inextricable Wandering’ geführt haben, sind dicht verknüpft mit einem unfreiwillig hohen Maß an Auseinandersetzung mit extremem Metal und der Szene an sich. Ich konnte schlichtweg kaum (Black) Metal hören, ohne unfreiwillig wieder durch die innere Hölle zu gehen. Deswegen waren die inspirierenden Quellen eher Wave-Sachen, traurige Indiemusik, Filmscores oder schlichtweg die Ruhe und Einsamkeit in meinem Zimmer. Heute ist der 24.12. und ich erinnere mich, wie glücklich ich letztes Jahr an diesem Tag war und einen Tag später meine Welt starb. Ich habe an diesem Tag ’With Knives To The Throat…’ und ’Cyanide Lips’ begonnen und sie am 26.12. inklusive Texten fertig gehabt.
C: Unsere Musikgeschmäcker sind schon sehr heterogen und breit gefächert. Jeder von uns hört Musik, mit der niemand sonst in der Band etwas anfangen kann und ich denke, dass diese Diversität viel der musikalischen DNS von ULTHA ausmacht. Das reicht buchstäblich von Klassik bis Crust-Punk. Aber natürlich gibt es auch viele Bands und Künstler, auf die wir uns einigen können. Entsprechend sieht die Situation im Van dann auch aus: von Konsens wie beispielsweise den frühen SEPULTURA oder bestimmten Post-Punk-Sachen, bis hin zu mehr oder weniger total abseitigem Kram, den niemand außer der momentane Fahrer wirklich gut findet. Natürlich kann das aber auch sehr inspirierend sein – ich habe so schon viel Musik kennengelernt, auf die ich in meiner Spotify-Blase niemals selbst gekommen wäre.
Ich persönlich höre unsere eigenen Alben nach Veröffentlichung relativ selten – man hört sie sich ja während des Mixens und Masterns unzählige Male an, so dass ich dann immer ganz froh bin, es erst einmal nicht mehr tun zu müssen. Dennoch landet ’The Inextricable Wandering’ relativ häufig auf dem Plattenteller. Vielleicht weil der Aufnahmeprozess so schnell vonstatten gehen musste, dass ich hier bei jedem Hören neue Details entdecken kann, die mir vorher nicht aufgefallen sind.
Habt ihr Vorbilder, was eure Instrumente oder euren Sound angeht? Was inspiriert euch außer eurem persönlichen Erleben und dem aktuellen Zeitgeschehen, welche anderen Kunst- und Ausdrucksformen haben euch geprägt und sind aktuell in eurem Fokus?
R: Bei mir wohl am ehesten Michael Gira und SWANS. Die mittlere SWANS Phase (später 80er/frühe 90er) ist für mich von der Atmosphäre und dem Songwriting her enorm wichtig. Aber bei dem Respekt vor Gira und SWANS geht es primär um die Antihaltung zu Trends und Kompromissen; nur die eigene Vision der Kunst zählt. Daneben gleich wichtig, wenn nicht sogar etwas wichtiger: Justin Sullivan und NEW MODEL ARMY. Seit so vielen Jahren bedeutet mir diese Band alles. Ihre Authentizität ist in meiner Welt ohnegleichen. Keine Worte berühren mich so sehr wie seine.
C: Schwierig. Klar gibt es Musiker, die mich inspirieren (der frühe Peter Hook, Dave Edwardson, Kira Roessler, Jef Whitehead…) aber ich würde nie auf die Idee kommen, mir aufgrund dessen spezielles Equipment zu kaufen, um deren Sound nachzueifern. In den meisten Fällen würde das ja auch nicht wirklich zum Gesamtsound von ULTHA passen.
Für mich ist ULTHA ein Paradebeispiel an Nonkonformismus in musikalischer wie auch stilistischer Hinsicht. Ein Gutteil eures Erfolges beruht eben darauf, die Dinge NICHT so zu machen wie man sie üblicherweise macht. Schlägt sich das auch in eurer Arbeitsweise im Studio nieder? Mit Andy und seinem „Goblin Sound Studio“ habt ihr ja fast unbegrenzte zeitliche Möglichkeiten…und inwieweit hat euer neues Label Century Media da eine Hand drauf?
R: Danke. Es ist schön, dass du das so wahrnimmst. Wir wurden ja am Anfang der Band oft als eine Band von Leuten angesehen, die aus dem Hardcore kommen und jetzt einen auf Metal machen. Dies war für uns ein weiterer Beweis für die Engstirnigkeit, die weite Teile der Metalszene immer noch beschränkt. Generell ist das aber bei jeder Szene so, wo man etwas weiter drin steckt als nur die bekannten Bands zu hören. Wir sind alle mit Metal aufgewachsen und lieben diese Musik. Sie ist aber eben nur einer von vielen Stilen, die wir mögen. Ich für meinen Teil fand 1993 zum Black Metal und habe hunderte CDs und Tapes gekauft. Diese standen dann im selben Schrank wie all meine Indierock-, Grunge-, Punk- und Hip-Hop-Alben dieser Zeit. EMPEROR waren da ebenso wichtig wie NIRVANA und der WU-TANG CLAN.
Jeder in der Band hat andere Lieblingsbands und andere Gewichtungen, welche Musik er am ehesten bevorzugt. Es gibt einige Konsensbands, aber eher viel Toleranz und Respekt für den Geschmack der Anderen. Aber eine andere Sache, die da ein wichtiger Faktor ist und uns so zusammenschweißt, ist unsere lange Zeit in der DIY-Szene, wo man Dinge selbst in die Hand nimmt, wenn sie einem wichtig sind. Dazu gehört auch eine gewisse Fuck-Off-Attitüde. Wir sehen uns deswegen wohl eher als Punks, in Form einer gewissen Antihaltung zu dem, was von einem verlangt wird, um eine „echte“ Metalband zu sein. Wir haben echt Sprüche bekommen, wir seien keine Black Metal-Band, weil wir so aussehen wie wir aussehen, oder weil unsere Texte auch mal von gebrochenen Herzen handeln. Es wäre fast lustig, wäre es nicht so bitter. Wir sind definitiv kein Teil dieser Bussi-Bussi-Gesellschaft in der Metalszene, wo sich alles um ein paar Protagonisten dreht und wer diese kennt, oder wer von den „coolen“ Labeln gesignt wird und damit eh unantastbar ist, egal wie medioker die Musik ist.
C: Ich bin dieses ganze Geheuchel und unablässige der eigenen Trueness Bedachtsein mittlerweile auch ziemlich leid – da unterscheidet sich die Metalszene im Kern halt kein Stück von irgendeiner anderen. Und klar zieht sich diese Attitüde auch durch den kompletten Schaffensprozess und die Arbeit im Studio. Wir überlegen nicht, ob wir eher nach DARKTHRONE oder MGŁA klingen wollen oder ob wir vielleicht mehr klassische Heavy-Metal-Elemente im Sound bräuchten, damit die hippen Labels Notiz von uns nehmen, sondern nur, welcher Sound am ehesten das rüberbringen kann, was wir mit unserer Musik ausdrücken möchten. Und Andy ist von solchen Engstirnigkeiten ja ohnehin komplett frei und sehr experimentierfreudig. Wenn also am Ende eher eine bestimmte Platte von SONIC YOUTH Pate für den Basssound steht, als irgendeine norwegische Black Metal-Scheibe, dann nehmen wir das dankend an.
Aber dennoch ist es nicht so, dass wir uns jetzt Tage und Wochen mit irgendwelchen Details aufhalten – auch hier sind wir deutlich mehr Punks als perfektionistische Muckertypen. Dreck unter den Fingernägeln darf es schon haben. Dementsprechend hat Century Media da auch keinen Anlass, sich zu beschweren. Und selbst wenn es uns jetzt einfallen würde, uns ein halbes Jahr im Studio einzuschließen – wenn es für das Endprodukt zuträglich wäre, würden wir uns auch da nicht reinreden lassen.
Spätestens mit ’Converging Sins’ hattet ihr euren Stil gefunden, doch erst mit der aktuellen Scheibe scheint ihr endgültig die Entwicklung zu eurer ureigenen Ausdrucksform abgeschlossen zu haben. Was ist das Einzigartige an eurer Musik?
R: Das ist ein schönes Kompliment. Danke. Wie Chris bereits erwähnte: wir tun das, was wir emotional und ästhetisch für das Passende halten, um das Gefühl hinter der Musik auszudrücken. Da kommen halt all unsere Einflüsse zusammen. Ich denke, eine Menge Bands lassen all die Musik, die sie konsumieren, Einfluss auf ihr Schaffen haben. Am Ende des Tages sind es dann halt super viele Variable (so in etwa: wie viel von welchem Einfluss lässt wer in der Band wie weit zu) die bestimmen, wie eine Band klingt.
Einige Leute hatten wohl auf eine zweite ’Converging Sins’ von uns gehofft, aber das hätte einfach nicht gepasst und uns auch nicht gereizt. Und das, was gerade im Jahr 2018 im Metal angesagt war, lässt uns völlig kalt. Entsprechend findest du überall die gleichen Bands in den Toppositionen der Jahresendlisten, die eben genau das machen, was gerade hip ist. Ich fühle mich der Band THERAPY? oder auch Künstlern wie SWANS oder NEIL YOUNG näher als jeder Metalband. Diese verbindet, dass es ihnen egal war/ist, ob ein Album kommerziell erfolgreich ist – es ging und geht nur um absolute Authentizität und Passion hinter der entstehenden Musik. DAS ist für mich echte Trueness.
Was unterscheidet dieses Konzeptalbum von euren vorigen Alben? Was kommt danach, wie kann man so etwas toppen – falls man das überhaupt will?
R: Es ist inhaltlich eine Anknüpfung an ’Converging Sins’, verknüpft durch den Song ’FEAR LIGHTS THE PATH…’. Es gibt meinerseits schon eine Idee, wovon die nächste Platte handeln könnte, verknüpft durch ’I’M AFRAID TO FOLLOW YOU THERE’.
C: Der Gedanke, auf ein Release „noch eins drauf setzen“ zu wollen, ist uns allen total fremd, so hat diese Band noch nie funktioniert. Auch nach unserem Debüt ’Pain Cleanses Every Doubt’ gab es nie eine Situation, in der jemand gesagt hätte, dass wir jetzt dieses oder jenes anders machen müssten, damit das nächste Album so oder so wird. Unsere Musik ist immer Ausdruck unseres persönlichen Status quo, ob dass nun mehr oder weniger Leuten gefällt ist uns ziemlich gleichgültig.
R: Wir wachsen eben einfach als Band stetig weiter, sowohl in unserem Umgang an den Instrumenten, dem Zusammenarbeiten als Band als auch dem genaueren Bild, was wir von unserer Musik wollen.
Nun aber zu den mentalen Herausforderungen bei der Arbeit zu ’The Inextricable Wandering’. Angst ist das vorherrschende Gefühl unserer Zeit, sie regiert uns, und immer mehr Menschen werden durch die Medien auf der einen und die Vereinzelung innerhalb unserer Gesellschaft auf der anderen Seite in eine latente Furcht bis hin zu einer inneren Schockstarre getrieben. Es scheint kaum einen Ausweg hieraus zu geben. Ralph, was war deine Intention beim Schreiben dieser Songs?
R: Im Grundsatz, mich mit etwas zu befassen, das in meinem Leben schon sehr lange eine tragende Rolle spielt. Ich habe da schon oft und viel drüber nachgedacht und Gespräche dazu geführt. „Fear is the only enemy that I still know“ singt Justin Sullivan in ’Purity’, und der Satz ist bei mir schon sehr lange auf der To-Tattoo-Liste. Ich kam an den Punkt mit all meinen Ängsten und Sorgen, als ich alleine im tiefsten aller Löcher festsaß, dass dieser Satz wie ein Mantra in meinem Kopf gewandert ist.
Ich beobachte Menschen sehr gerne. Dies zumeist aus der sicheren Deckung des Fremden. Selbst da sieht man schon viel Angststrukturen. In der Gesellschaft wird Angst gezielt eingesetzt um Menschen im Zaum zu halten, um sie unter Druck zu setzen. Ich arbeite in einer Institution, die unterschwellig mit diesem Mittel arbeitet, um den Staat funktionstüchtig zu halten. Es ist nahezu surreal, wie viel Angst Schülerinnen und Schüler verspüren. Ich kann mich da gar nicht mehr so sehr an meine eigene Schulzeit erinnern, aber als Beratungslehrer bekomme ich da viel mit. Es ist grauenhaft, was Kinder teilweise aushalten müssen an Ängsten.
In einer Philosophiestunde zum Thema Menschenrechte kam das Thema dann im Kontext Trump/Machthunger/Diktatur/Politik auf. Ich habe den Kindern dann mal ein spontanes Exempel an der Tafel gezeigt, wie Angst in diesem System genutzt wird. Sie waren so schockiert, weil sie sich in ihrem Kleinstadtleben bis dahin selten bis nie mit solchen globalen Strukturen befasst haben. Aber es hat sie fasziniert. Von da aus ging es dann im Top-Down Approach, also vom Globalen zum Lokalen, um das Thema Angst. Ich habe selten so viel Partizipation im Unterricht gehabt, weil ALLE Erfahrungen damit hatten.
Von da ausgehend fing ich an, vermehrt über meine Welt, meine Situation, meine Ängste und Sorgen zu sinnieren und am Ende Texte daraus zu bauen.
Als sei es Murphy’s Law kam dann Anfang letzten Jahres die Quittung und ich wurde meinen größten Ängsten ausgesetzt, und verlor. ’The Inextricable Wandering’ ist das Auseinandersetzen mit dieser Zeit.
Chris, wie setzt du Ralphs Konzept um, wenn du seine Lyrics einstudierst? Was macht das mit dir? Könnt ihr nachts noch schlafen, wenn ihr ständig an solch belastenden Themen arbeitet bzw. die Stücke live aufführt? Wie sehr nimmt euch das selbst mit?
C: Ich versuche gar nicht erst, mich in Ralphs Intention, Konzept oder gar seine Gefühlswelt hineinzuversetzen, auch wenn ich natürlich schon mitbekomme, was ihn beim Schreiben jeweils antreibt. In der Literaturwissenschaft heißt es „der Autor ist tot“, und im Prinzip gehe ich so an die Sache ran. Ich will, bzw. muss die Texte ja authentisch rüberbringen, so als wären es meine eigenen Worte, und das kann nur funktionieren, wenn ich soweit es irgendwie geht meine eigene Interpretation wiedergebe. Was Ralph sich konkret gedacht hat, oder warum er etwas genau so geschrieben hat, muss mir dabei völlig egal sein. Wenn ich das bis ins Detail analysieren würde, würde das automatisch meine eigene Wahrnehmung und Darstellung verfälschen. Vielmehr verbinde ich die Texte mit meinen ganz eigenen Erfahrungen und Emotionen, und gebe das dann wieder. Klar ist das manchmal nicht ganz einfach oder gar bedrückend, aber das ist ja auch zugleich das, warum Ralphs Texte so vielen Leuten so viel bedeuten – inklusive mir. Während der Live-Performance kommt es schon mal vor, dass es mir bei einzelnen Versen die Kehle zuschnürt, aber wenn ich damit ein Problem hätte, könnte ich das eben auch nicht in der Art und Weise machen. Hundertprozentige Emotion ist das einzige, was ich zu ULTHA beitragen kann.
Und wie ist es für dich, Ralph, wenn du Chris dabei erlebst deine Texte zu singen?
R: Er ist einer der Wenigen, die ich das tun lassen würde und wir haben uns vorher auch darüber unterhalten. Er kennt die meisten Sachen, aus denen meine Texte resultieren, von daher ist es irgendwie okay. Außerdem finde ich seine Art des Gesangs für den meist emotional-hysterischen Unterton der Lyrics ziemlich gut. Auf jeden Fall besser als meine Stimme.
Ihr seid vor kurzem zurückgekommen von eurer Herbst-Europatour (unser Livebericht aus dem Komma, Esslingen, siehe hier) – wie hat es sich angefühlt, die neuen Lieder live zu spielen? Plant ihr irgendwann auch eine Liveaufnahme, und falls ja, was wäre auf jeden Fall darauf zu finden?
C: Wir haben ja einzelne Songs auch vorher schon live gespielt, aber jetzt tatsächlich alle gleich mehrfach spielen zu können, war schon gut und auch wichtig. Gerade wenn man die Songs dann häufig spielt, fallen einem immer wieder Sachen auf, die man vorher gar nicht wahrgenommen hat. Eine Liveaufnahme ist aber erst einmal nicht geplant, wenn es sich quasi spontan ergibt wie auf dem Roadburn 2017, ja warum nicht, aber forcieren werden wir das nicht.
Ich lerne neue Bands am liebsten auf Konzerten kennen, so war es damals auch mit ULTHA. Seid Ihr selbst immer noch eifrige Konzertgänger? Habt Ihr Lieblingslocations als Musiker und als Fans?
R: Ich lerne meine Bands lieber auf Blogs kennen. Konzerte reizen mich von mal zu mal immer weniger. Nicht mal weil ich Bands nicht live sehen will, aber ich bin a) übersättigt, b) hasse ich es, wenn Soundmenschen Bands versauen (und das passiert oft) und c) hasse ich die Menschen um mich herum, denn diese versauen mir meistens das Erlebnis. Bei KILLING JOKE und NEW MODEL ARMY dieses Jahr wäre ich vom Gefühl her echt gerne handgreiflich geworden, weil mich so viele Idioten so sehr aufgeregt haben. Bei KILLING JOKE musste ich sogar früher gehen. Es gibt auch kaum noch Bands, die mich reizen rauszugehen.
Eine Ausnahme auf vielen Ebenen war das Konzert „The Mystery Of The Bulgarian Voices feat. Lisa Gerrad“ in der Christuskirche Bochum. Die Leute saßen, alle wussten sich zu benehmen und konzentriert zuzuhören. Kein Stören, kein Gröhlen, keine Betrunkenen die in dich wanken, keine Handys in deinem Sichtfeld etc. Es war unfassbar angenehm und dadurch total mitreißend, weil man sich wirklich voll auf die Musik einlassen konnte.
C: Ich nehme mir sehr viel mehr Konzerte vor, als ich dann tatsächlich besuche, weil ich oftmals dann doch lieber mit meinen Platten und einer Flasche Rotwein allein zu Hause bleibe. Das kommt sicher daher, dass ich recht übersättigt von Konzerten und dem ganzen Drumherum bin, zumal von Metal. Einer meiner Lieblingsläden, um selbst zu spielen, ist das Gebäude 9 in Köln, als Besucher liebe ich das Gleis 22 in Münster – kleiner Laden, aber gute Atmosphäre und immer super Sound. Mit ULTHA haben wir‘s da leider noch nicht hingeschafft und ich fürchte, dass das auch nicht mehr passieren wird.
R: Das ist aber auch in der Band bei jedem anders. Manu zum Beispiel würde auf jeden Fall häufiger auf Konzerte gehen, wenn er könnte. Nur da machen Arbeit, Studium und privater Kram oft einen Strich durch die Rechnung. Ich glaube, wenn ich nicht konstant so müde wäre von der Arbeit, würde ich auch nochmal anders darüber denken. Er ist jedoch echt ein totaler Showenthusiast!
Ein Grundpfeiler eurer Musik sind breitwandartig dimensionierte Soundlandschaften; ich bin daher sicherlich nicht die erste, die auf die Idee eines Soundtracks kommt – hattet ihr schon einmal Anfragen für so etwas? Was wäre der ideale Filmplot für ein solches Projekt?
R: Direkt als Soundtrack zu einem fiktiven Film hat unsere Musik noch niemand gesehen. Tatsächlich kommt aber öfter die Frage, ob Soundtracks einen Einfluss auf uns haben. Das kann ich auch voll nachvollziehen. Die Antwort ist da recht einfach, denn tatsächlich verliere ich mich gerne in Soundlandschaften von Komponisten wie Max Richter, Clint Mansell oder dem viel zu früh verstorbenen Jóhann Jóhannsson (R.I.P.). Filmscores und klassische Musik geben mir gefühlstechnisch viel mehr als jede belanglose old-school Heavy-Metal-Band, die die Metalszene gerade als neue Kultband abfeiert und so emotionsbefreites Gitarrengedudel rechtfertigt. Mit ’The Inextricable Wandering’ sind wir definitiv noch cinematographischer geworden. Eine Anfrage oder eine Idee einen Film zu vertonen gab es noch nicht, ich persönlich fände das unglaublich spannend.
Wie kommt es eigentlich zu euren stets sehr langen und lyrischen Songtiteln? Was liegt Buchtechnisch gerade auf eurem Nachttisch?
R: Ich empfand lange Songtitel schon immer spannender als Ein-/Zwei-Wort Titel. A) gibt es die Songtitel dann meist von 20+ Bands und b) ist einen Song einfach „Depression“ oder „Sadness“ zu nennen super plump. Keine Ahnung, es kam mit der Zeit einfach so, dass ich mit den Songtiteln schon einen Kontext legen wollte und man alleine dadurch genug Metaphorik hat, um zu interpretieren. Außerdem ist bei meinem Versuch, unsere Musik zu einer ganzheitlichen Sinneserfahrung zu machen, irgendwann das Gefühl geblieben, dass lange Songs auch lange Titel verdienen.
Momentan liegt neben dem obligatorischen ‘The Walking Dead’ US-Paperback (Nr. 30 glaube ich) ‘Raven: The Untold Story of the Rev. Jim Jones and His People’ von Tim Reiterman auf dem Nachttisch.
Lars, euer neuer zweiter Gitarrist, hat euch seit Erscheinen der neuen Platte live ausgeholfen und nun glücklicherweise zugesagt, festes Bandmitglied zu werden. Erzählt doch mal ein bisschen was zu ihm…
R: Lars ist seit Jahren die legitim einzige Person, von der wir wussten, er könnte den vakanten Platz von Jens bestmöglich füllen. Wir kennen ihn von Shows mit seiner Hauptband SUN WORSHIP. Er ist, abseits seines Wohnorts, der perfekte Kandidat. Er hat einen so großen musikalischen Horizont wie alle anderen in dieser Band, ist 100% Musikfan, der alles absorbiert was er kann, und lässt sich nicht beschränken in den Genres. Er hat eine ähnliche Sozialisation in Musik, Politik, Kultur, ist ein guter Musiker und Songschreiber, hat Studioerfahrung und ist dazu einfach einer der nettesten, smartesten und lustigsten Menschen, mit dem man Zeit verbringen kann. Mit ihm fühlt sich die Band seit Jahren wieder wie eine komplette Einheit an.
Ihr macht als Band auf mich den Eindruck einer Gruppe von Freunden – ist das tatsächlich so? Gibt es in eurem Bandgefüge feste Rollen, wer sich um was kümmert, gerade auch auf Tour? Wer ist denn für die Lebensmittel zuständig, und wer für die gute Laune im Van?
C: Ja, das ist schon so, die anderen Vier gehören schon zu meinen allerengsten Freunden. Zudem hat glaube ich keiner von uns mehr Lust auf eine reine Zweckgemeinschaft als Band – das hatten wir in der Vergangenheit alle schon mal. Das muss man sich wirklich nicht mehr antun, zumal wenn man die Band (bei aller Leidenschaft, die da im Spiel ist) ja „nur“ als Hobby betreibt. Und klar haben sich im Laufe der letzten Jahre halbwegs feste Rollen herausgebildet, es macht ja auch wenig Sinn, dass sich alle um alles oder einer um alles kümmert. Gerade letzteres ist bei der Menge, die ja um den eigentlichen Kern der Sache (das Musikmachen) anfällt, quasi unmöglich ab einer gewissen „Größe“.
Soweit ich gelesen habe, habt Ihr selbst auch schon Musikkritiken geschrieben, daher würde ich jetzt gern mal Rollen tauschen und euch zwei bitten, den jeweils anderen etwas zu fragen, was ihr schon immer von ihm wissen wolltet, euch bisher aber nie getraut habt zu fragen…
C: Ehrlich gesagt gibt es nichts, was ich mich nicht trauen würde, Ralph zu fragen. Zumal ich mittlerweile so viele Interviews mit ihm zusammen gemacht oder gelesen habe, dass da eigentlich echt keine Fragen mehr offen sind.
R: Same here.
…und zum Schluss noch ein kleines Synaesthesie-Spielchen!
Wenn ULTHA eine Farbe wäre, dann wäre das………
R: Hm, dunkelgrau vielleicht? Nicht schwarz, denn irgendwo scheint immer dieses letzte Quäntchen Hoffnung durch. Ich habe vor Jahren in ähnlicher Verfassung wie gerade die zweite PLANKS geschrieben. Die hieß passenderweise ’The Darkest Of Grays’. Eventuell ist das auch ein guter Vergleich für ULTHA.
Wenn eure bisherigen Studioalben einen Geschmack hätten, wie schmeckte jeweils ’Pain cleanses Every Doubt’?
C: Scharf.
’Converging Sins’?
C: Herb-süß.
’The Inextricable Wandering’?
C: Bitter.
Euer jeweils aktueller Lieblingssong (von ULTHA und/oder anderen Bands) ist ….. und riecht nach ….. ?
R: Von ULTHA ist es ’The Seventh Sorrow’ und riecht nach unserer Nebelmaschine, denn der Anfang verlangte hohe Arbeitsleistung von dieser, um die Atmosphäre zu verkörpern.
An aktuellen Songs ’Suspirium’ vom SUSPIRIA-Soundtrack von Thom Yorke. Er riecht wie getrocknetes Blut, das von Tränen aufgeweicht wird, denn er ist das vertonte Empfinden meines Jahres 2018.
C: Von ULTHA ist es bei mir ’I’m Afraid To Follow You There’, der riecht nach eingetrocknetem Blut, ansonsten ist es derzeit wohl ’Sergé Bailmann’ von DACKELBLUT, und der riecht natürlich nach Schiffsdiesel und Salzwasser.
Eure jeweilige Leibspeise ist ….. und sie hört sich an wie/klingt nach …..?
R: Pizza Cipolla mit Oliven und Kapern. Da ich sowohl Essen als auch Musik unglaublich liebe, aber beides meiner Meinung nach in keinem Verhältnis zueinander steht, nehme ich hier den Soundtrack von Ocean’s 13 oder ’Axel F.’ von Harold Faltermeyer. An Tagen, wo die Welt mich an den Rand des Wahnsinns bringt, hilft die Kombi aus diesem Essen, einem der beiden Filme und kalter Cola gegen jede Bedrohung.
C: Ganz klar auch Pizza, allerdings mit Pilzen, Oliven, Paprika und Peperoni, und die kann nur nach ’Azzuro’ von Adriano Celentano klingen.
Euer jeweiliger absoluter Lieblingsfilm ist ….. und er fühlt sich an wie ….. ?
R: Das ist wiederum schwer, weil ich bei Filmen ein ähnlicher Nerd bin wie bei Musik. „Aliens“ und „Lost In Translation“ stehen auf einem Level, ohne das sie das geringste miteinander gemein hätten. „L.I.T.“ hat definitiv den emotionaleren Beigeschmack, und da würde ich sagen Verzweiflung, Verlangen und Versuchung.
C: Einen wirklich definitiven, absoluten Lieblingsfilm zu nennen fällt mir auch schwer. „Das Imperium schlägt zurück“ ist auf jeden Fall weit vorne mit dabei, und der fühlt sich an wie verlieren.
Herzlichen Dank für Eure Zeit und Geduld!
R: Danke für die fordernden Fragen und euer Interesse.
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Danke für sämtliche Bilder an: Void Revelations – www.voidrevelations.com