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SLEEP – The Sciences

~ 2018 (Third Man Records) – Stil: Doom ~


Sie gelten als Kultband und das szeneübergreifend bei Stoner, Sludge und Doomheads, denen allesamt die Liebe zu monolithischen Heavyriffs und zermalmend schweren Rhythmen zu eigen ist. Sie haben mit ihrem Album ´Jerusalem´ bzw. dessen Alternativversion ´Dopesmoker´ einen besonderen Brocken geschaffen, hypnotisch, sperrig und irgendwie rauschhaft. Eine Stunde, ein Song. Das war damals, noch in den 90ern, die ohnehin anders waren. Ernsthafte Musikliebhaber und Hipster gleichsam sind Fans und Follower der Band SLEEP. Und wir schauen doch mal, wo die Truppe mit ihrem brandneuen Comebackalbum ´The Sciences´ ansetzt.

Es wird heavy. Der Opener und Titelsong ist eigentlich ein freiformatiges Herumdröhnen, ein Feedback mit kosmischer Wirkung, brodelnd, dampfend, ganz dezent mit etwas wie einer Melodiestruktur zwischen all dem Krach. Matt Pike lässt seine Gitarre jaulen, knirschen und röhren, hat die Zerre auf Anschlag gedreht. Drei Minuten geht das so, dann ist die erste Begegnung mit der neuen SLEEP-CD überstanden. Von Popmusik kann hier nicht die Rede sein.

´Marijuanaut’s Theme´ kommt dann lässig, aber mit gnadenloser Wucht aus dem Äther geschlendert. Ein verlangsamter Shufflerhythmus, brachiale, aber packende Gitarrenläufe, monotoner, beschwörender Gesang von Al Cisneros, der auch den wummernden Bass dazu spielt. Eine neue Doomhymne ist geboren und das hier ist tatsächlich Doom und Hymne zusammen. Nicht innovativ, nein gar nicht. Das hier ist die gelebte Seele des Doom. Dreckiger als bei BLACK SABBATH 1971 oder bei SAINT VITUS 1986, aber so sehr Doom, wie man nur Doom sein kann. Eindringliche, sehr schöne Heavyrockpassagen sind hier zu hören, die bei all der Verzerrung durchaus an die alten, goldenen Zeiten denken lassen.

Mal sehen, was da noch so geht. Der ´Sonic Titan´ mit zwölfeinhalb Minuten Spielzeit. Wieder hat Matt Pike hier ein Feuerwerk an wunderbaren Riffs mit eingängiger Struktur und hohem Wiedererkennungswert vorbereitet. Diese Riffs schiebt er wieder und wieder zwischen die urtypischen, gleich einem wahrlich titanischen Reptil kriechenden Lavaakkorde, welche sich beim traditionellen Bluesrock ihre Inspirationen geholt haben. Bass und Schlagzeug spielen einen schönen Rhythmus darunter. Ersterer mit verspielt tänzelnden Abfolgen, letzteres machtvoll schiebend und stoßend. Über viele Minuten kommt kein Anzeichen von Gesang. Der Song tobt wie ein vom Sturm aufgewühltes Meer. Dann ein Bruch, Al Cisneros spielt eine Passage alleine mit verzerrtem Bass. Hat was vom klassischen 70er Rock, die Melodie ist erdig, bluesig, cool. Und das eigentliche Stück mit Gesang legt los. Morbide, düster, monoton, schön doomy halt. Wir haben übrigens schon sechs Minuten Song hinter uns. Der fuzzige Freakout namens ´Sonic Titan´ hat alles, was ein Doomsong braucht. Irgendwie ist er so urtraditionell in allen Aspekten und doch, er reißt Dich mit in seinen ewigen Schlund, in eine schwarze Tiefe kosmischen Unheils. Und sein Nachfolger ist da noch morbider.

´Antarcticans thawed´ beginnt verhalten, ein Akkord vom Bass immer wiederholt, dezentes Drumming darunter, dunkelpsychedelische Gitarren. Dann läuft alles in einem dahinstapfenden Heavypart zusammen und der wiederum steigert sich hinein in einen weiteren Monolithen von Song mit dem prophetischen Gesang in ständig anderthalb Tonlagen. Es braucht auch hier nicht 1.000 neue Songabschnitte pro Minute, um eine interessante Komposition zu erschaffen. Das Stück ist absolut wuchtig, aber schön reduziert. Auch hier sorgt der Minimalismus wieder für eine rauschhafte Atmosphäre. Die sparsamen Melodien versetzen den Hörer in Trance. Matt Pike brät sich durch den Solopart mit einer urgewaltigen Bestialität, wie man sie selten im Doom erlebt hat und wenn nur bei den Ur-Sludge-Bands wie den allmächtigen EYE HATE GOD. Seine Soli sind ohrenbetäubend, zermalmen und zersplittern die Seele und verkochen ihre Reste zu einem schwarzen, schwefeligen Brei.

Die Band nimmt sich Zeit. Zwölf oder vierzehn Minuten Spielzeit sind bei den Songs ganz okay. Die Stücke fließen, wie dereinst ´Jerusalem´ bzw. ´Dopesmoker´ geflossen sind. Da ist ein Zehnminüter wie ´Giza Butler´ schon fast eine Singleauskopplung. Der namentlich an den BLACK SABBATH-Bassisten angelehnte Song beginnt mit einer psychedelisierten Bluesrockmelodie auf unverzerrter Gitarre gespielt, bevor er zu einem verhaltenen Wüstenrocker wird. Die Gitarre und der Bass sind dabei sehr im Hintergrund, das Schlagzeug weit vorne, aber dann geht es los, dann wird die Hölle losgelassen. Groovend, mit extrem verzerrten Gitarren rockend, gesanglich wiederum so beschwörend und packend eingängig donnert sich ´Giza Butler´ vorwärts durch den Kosmos. Eine donnernde Klangwalze überwältigt den Hörer. Das macht Spaß, das steckt die Seele in Brand vor Lust und Leidenschaft. Ich kann mir vorstellen, dass auch in der 2019er Generation viele Neumenschen zu den Klängen von ´The Sciences´ gezeugt worden sind. SLEEP haben dieses sexuell stimulierende Element, welches den Verstand des Menschen auf seine niedersten Instinkte reduziert. Die passende Orgie des Fleisches zur Orgie des Klangs dürfte da immer nur einen Herzschlag entfernt liegen.

Brodelnde Bauchmusik ist schon was feines, vor allem wenn sie zudem noch den Geist, die Seele des Menschen berührt und betört. SLEEP sind eine universale Band, was das angeht. Sie sind uralt, hypermodern, zeitlos schön und lebensfeindlich wie das innerste Outback Australiens. Wieder sind es Matt Pikes Leadgitarren, die hier und dort noch Akzente setzen und den Irrsinn dieses Songs komplett machen. ´The Botanist´ beschließt letztendlich das Album donnernd, dröhnend, waidwund kriechend mit einem Bein im Blues, wie quasi jeder Song hier. Schöne Riffs sind zu hören, die bei allem Hang zu traditionellen Abfolgen immer einprägsam wirken. Eine ruhige Passage mit unverzerrter Gitarre gibt dem Stück schon einen beinahe balladesken Ausdruck. Matt Pike zelebriert dazu ein Folge von schönen Soli und Leadgitarreneinlagen. Schmusekurs bei SLEEP? Ach, das wird schon. Popmusik geht nach wie vor anders. Aber das Stück ist ein wenig entspannter, peaciger, luftiger von den Harmonien her, bei allem Quietschen und Krachen. Denn quietschen und krachen tut der Song immer noch. Die Leadgitarre hat einen unglaublich schmutzigen Sound. Und wenn Matt Pike mal so richtig in Fahrt ist, dann macht er allen Gitarrengötzen der Welt den Garaus. Nach zwei Dritteln der sechseinhalb Minuten wird aus dem Song noch ein Jam mit experimentellem Einschlag und erdrückender Spaceatmosphäre gewürzt mit einem Schuss brodelnder Wüstenhitze. Das wirkt etwas richtungslos, gerade weil hier am Ende nur noch freiformatig die Gitarre jault, blubbert und knirscht und sowohl Song, als auch Album dann auf einmal vorbei sind. Aber SLEEP wären nicht SLEEP, wenn sie den Hörer am Ende nicht doch dezent vor den Kopf stießen und so ihre Eigensinnigkeit wieder zum Vorschein käme.

SLEEP lassen die schmutzige Variante des Dooms wieder aufleben, wobei diese durch enorm viele aktuelle Veröffentlichungen, ich empfehle da den YouTube-Kanal STONED MEADOW OF DOOM, mehr als lebendig erscheint. Aber SLEEP sind dann doch so etwas wie Gottväter und zeigen den Kids, wo der Frosch die Locken hat. Für Hipster und Genrefanatiker absolute Pflicht.

(9 Punkte)

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