CATAYA – Firn
~ 2018 (Moment Of Collapse Records) – Stil: Post Rock/Metal ~
Auch für ihren Zweitling bedienen sich CATAYA eines sehr bildhaften Albumtitels: Firn bezeichnet Schnee, der mindestens ein Jahr alt ist, einige Male Auftauen und wieder Gefrieren hinter sich hat und dadurch stark komprimiert und kompakt ist, also das Ergebnis vielfachen Wandels, von wiedelholtem Vergehen und neu Entstehen. Falls diese Assoziationen die Arbeit an dieser Platte illustrieren sollen – man hört es ihr keineswegs an.
Vor gut drei Jahren überraschte das junge Kollektiv mit belgischen, kanarischen und deutschen Wurzeln die Postrock-Gewerkschaft mit seinem sehr reifen Debüt ’Sukzession’ (siehe unser Review hier), und schon damals wusste Michael intuitiv, dass das Sextett eine besondere Affinität zu Schnee hat, verwies er doch prophetisch auf „Vier Abfahrten im Post-Schlitten“.
Tatsächlich sind es auch diesmal wieder vier überlange Songs geworden, die ich jedoch nicht als Abfahrten bezeichnen möchte, ist die herausragende Emotion dieses Albums doch eine frei schwebende, unbeschwerte Ruhe und tiefe Entspanntheit. Während ’Sukzession’ mächtige, tief im rocky ground verwurzelte Bäume gen Himmel wachsen ließ, ist ’Firn’ so spielerisch-ambient geworden wie im Sonnenlicht tanzende Reflektionen auf Schneekristallen – ein Kaleidoskop voller flirrender, strahlender Töne, die zwischen den drei Gitarren hin- und hergeworfen werden, sich nach oben schrauben und immer wieder in kristalliner Klarheit aufblinken – mit einer manchmal fast schon schmerzhaften Süße. Gerade der Opener ’Destiny’ lebt von einer Verspieltheit, die an Kinderreigen und slawische Folklore erinnert, die Instrumentalisten setzen auf Atmosphäre statt Riffs, entladen dieses Übermaß an Idyll jedoch im letzten Viertel, wo endlich auch das Schlagzeug seinen angestammten Platz in der Komposition einnimmt – in einem schwarzmetallischen Ausbruch, der direkt in ’Madera Sagrada’ überleitet, das zeigt, wie effektiv und traumwandlerisch sicher das Sextett Atmosphäre auf- und genauso überraschend wieder abbauen kann. Musik, um sich in Raum und Zeit zu verlieren, eine neue Definition von “zeitlos”, auch hier wieder die dramatische Eruption in der zweiten Hälfte, kathartisch, kraftvoll. ’Vis-à-Vis’ beginnt fast blackjazzig, hier spüren wir deutlich die Kälte des erstarrten Eises, es ist der komplexeste Song, mit dem die Band in aller Ruhe einen Bohrkern gletscherwärts treibt, der viel Altes, Erstarrtes ans Tageslicht bringen wird. Ein grossartiger Wechsel, Darkwave-Keyboards treffen auf (endlich wieder!) mächtige Riffs, keine Ab-, sondern eine Achterbahnfahrt der Gefühle. ’Ausblick’ schliesslich nimmt das Düstere des Vorgängers wieder auf, entwickelt eine herzzerreißende Melancholie, die sich nur sehr langsam, aber kraftvoll wieder ans Licht zurückkämpft.
Wo kann man CATAYA nun einordnen? Für Shoegaze sind sie (vordergründig) zu lebensbejahend und unbeschwert gestimmt, für reinen Post Rock zu sehr Black Metal-affin, doch von diesem wiederum viele harmonische Atmosphären entfernt. Das alles hat viel von TOUNDRA und auch von aussserweltlichen YEAR OF NO LIGHT, jedoch ohne deren perkussiven Wumms. Wer nach einem nur oberflächlich glatten, jedoch in der Tiefe kantig-fordernden instrumentalen Leckerbissen sucht, der sich seinen ganz eigenen Klangkosmos erschaffen hat, kann hier bedenkenlos zugreifen.
(8 Punkte)