MANES – Slow Motion Death Sequence
2018 (Debemur Morti Productions) – Stil: Suicide Trip Rock
Über die folgende These lasse ich gern mit mir diskutieren: Keine der vielfältigen Spielarten, die wir heute unter dem grossen Schirm dessen versammeln, was sich Heavy Metal nennt, bringt so viele, aber vor allem auch so weitreichende musikalische Innovationen hervor wie der Black Metal.
Das liegt zum einen an der absoluten Freiheit, über die sich dieses Genre grundsätzlich definiert, sowie dem ausgeprägten Willen, Grenzen zu überschreiten. Auch das extrem starke ästhetische Selbstverständnis ist hilfreich, wenn es darum geht auszutesten wie sich neue musikalische Ideen verwirklichen lassen, Offenheit für alle möglichen Einflüsse und Strömungen kommt noch hinzu. Aber klar, wir reden hier nicht von den BM-Bands klassischer Ausprägung, die sich nichts sehnlicher herbeiwünschen als eine Zeit-Raum-Maschine, die sie direkt ins Oslo der frühen 90er zurückbeamt, und natürlich macht lange nicht jeder Fan alles an Weiterentwicklung seiner favorisierten Bands mit, jedoch ist Toleranz für Experimente und neue Wege ein Grundpfeiler der Schwarzwurzelszene.
Die Entwicklung, die MANES genommen hat, war für manchen Fan der allerersten Stunde sicherlich harte Kost, schon mit ihrem Zweitling ’Vilosophe’ nahmen die Trondheimer eine scharfe Kehrtwende hin zu elektronischer Musik, Pop und verstärkt Trip Hop, und haben ihren avantgardistischen Ansatz seither, ähnlich ihren Landsleuten ULVER, stets weiter verfeinert, und sich immer weiter von ihren Wurzeln wegbewegt, ohne sie jedoch in irgendeiner Weise zu verleugnen. Mit ’Slow Motion Death Sequence’ legen sie nun eine stilistisch extrem vielfältige Platte vor, die aus der Langsamkeit, ja Trägheit heraus lebt, und vom runtergedrehten Dark Rocker (’Chemical Heritage’) über melancholischen Prog Rock à la RIVERSIDE (‘Last Resort’) bis hin zu purem Trip Hop (’Scion’, ’Ater’) und Electronica (‘Therapism’), sowie allen aus diesen diversen Richtungen vorstellbaren Zwittern etwas zu bieten hat – verpackt in geradzu genial aufgebaute und arrangierte Songs.
Doch was diese Platte endgültig so herausragend und hypnotisch, ja suchterzeugend macht, sind ihr Thema und vor allem ihre Stimmung. Denn die oben erwähnte Trägheit ist kein geniesserisches Sich-Treiben-Lassen, keine ausgepowerte Müdigkeit, sondern das letzte Aufbäumen, das allerletzte Fitzelchen Energie, die es braucht, sich gegen eine bleierne Schwere zu stemmen, die das gesamte Leben überdeckt, um irgendwie weiterzumachen, weiter zu funktionieren – oder aber, um endgültig aufzugeben. Mit dem andauernden Vollrausch, dem letzten Trip, mit der endgültigen Überdosis, mit der Entscheidung für assistierten Selbstmord (man höre nur die Sprachsequenzen in ’Therapism’)…egal, was man letztlich wählt: die Hoffnung auf ein sinnerfülltes, glückliches Leben ist schon lange gestorben. Das Thema dieses Albums mit dem alles sagenden Namen des ersten Liedes, “Zeichen der Endzeit“, ist der Tod. Und zwar in all seinen Varianten, auch und vor allem derjenigen, die der Spruch beschreibt, dass die meisten Menschen mit 25 sterben, jedoch erst mit 75 begraben werden…
Die Süße der Melodien, der diversen, sirenenartigen und stets klaren Stimmen (eine der beiden männlichen hat passenderweise sehr viel von David Bowie – ’Building The Ship Of Theseus’) erzeugt eine trügerische Doppelbödigkeit, lullt den Hörer mit sofortiger Wirkung ein und übernimmt damit genau die Rolle all der kleinen natürlichen oder synthetischen Helferlein, die innere Leere zu überdecken, Freude und Lebenslust vorzugaukeln oder einfach nur alles störende von Außen, alle unbeantwortbaren Fragen mit erlösender Stille zu überdecken. Umso schneller kommt die eiskalte Gänsehaut, wenn die andere, die schrille Stimme einsetzt und uns bewusst macht, wie trügerisch dünn der Boden ist, auf dem wir uns mit letzter Kraft voranquälen. Da ist der Zuhörer nur noch froh, wenn er die abgrundtiefen Texte nicht vollständig versteht. Denn die wunderbare Musik kann mehr als trösten – für die Dauer von 44 Minuten erlöst sie.
All dies fasst der das Album eröffnende Song perfekt zusammen: ’Endetidstegen’, und Guilherme Henriques’ kongeniales Video hierzu. Wen dies berührt, wird die gesamte Platte nicht mehr loslassen. Willkommen in der individuellen Hölle der Neuzeit – dem Ich. Und Dein Herz steht still.
(9 rezeptpflichtige Punkte)