JUDAS PRIEST, URIAH HEEP – Firepower Tour
08.08.2018, Dortmund, Westfalenhalle
In irgendeiner Kiste müssen sie noch sein – die 120er Kassetten, die ich als Teenie mithilfe eines extra von meinem Onkel für meinen Mono-Kassettenrekorder gelöteten Kabels, passend zur Buchse am Schwarzweiß-Fernseher, aufnahm. Heute alles unvorstellbar, vor allem auch die Tatsache, dass im öffentlich-rechtlichen TV rockmusikalisch relevantes passiert, und das sogar regelmäßig…aber ich schweife schon wieder ab.
Damals, Anfangs der glorreichen 80er, übertrug der WDR spät Nachts und glücklicherweise an einem elternfreien Abend ein Konzert, wie es bis dahin noch nie dagewesen war: RockPop in Concert – Special Heavy Metal Night vom Dezember 1983 aus der Dortmunder Westfalenhalle schrieb Metalgeschichte. Ein Traum! Noch Monate später wurde in der Clique diskutiert, welche Band dieses Hammerlineups (IRON MAIDEN, SCORPIONS, JUDAS PRIEST, DEF LEPPARD, OZZY OSBOURNE, QUIET RIOT, KROKUS, MSG) die beste gewesen sei – mein diesbezügliches Urteil stand jedoch von Anfang an felsenfest – natürlich Priest, wer sonst?
Viele, viele Jahre dachte ich nicht mehr an dieses denkwürdige Ereignis, und erst im Rahmen unseres famosen ‘Firepower’-Rudelreviews wurde die Erinnerung daran wieder geweckt (Danke, Less!), und heutzutage konnte ich das alles sogar live und in Farbe erleben! Ja und wer sich noch an meinen ‘Firepower’-Beitrag erinnert, weiß auch wie geflasht ich von der neuen Priest war (und bin). Daher war es einfach Pflicht, sich die Band nochmal anzuschauen, zumal die Einschläge in Form personeller Ausfälle immer näher kommen. Mannheim ging terminlich nicht, also bot sich – ganz traditionell – endlich mal die geschichtsträchtige Westfalenhalle an. Also, Karte besorgt, Hotel und Zug gebucht, und auf ins Abenteuer!
Zuerst war die Ernüchterung groß. Schon ewig war ich nicht mehr auf einem Konzert mit solchen Eingangsschlangen, aber wer einen guten Platz erobern will, muss eben früh vor Ort sein.
Die mehr als 15.000 Personen fassende, allein durch ihre runde, geschwungene Form ästhetisch beeindruckende Halle wurde heute mit knapp 8.000 Leuten zumindest im Innenraum gut bevölkert. Das alterstechnisch bunt gemischte Publikum, viele Jugendliche mit ihren Elternteilen und mehrheitlich in JP-Shirts, machte es sich gemütlich und trank sich die Wartezeit schön, und erst zum Opener URIAH HEEP standen doch mal alle auf, um gleich von einem beeindruckend gut bei Stimme auftretenden Bernie Shaw darüber aufgeklärt zu werden, dass hier mit beiden Bands zusammen fast 100 Jahre Rockgeschichte auf der Bühne stehen werden. Na, da musste sich erst einmal zeigen, ob das gut oder schlecht zu bewerten ist…aber die Showmaster des angeproggten Hardrock nutzten ihre lange Erfahrung sowie ihren riesigen Hitfundus, um auch die Rückenmuskulatur der in nicht geringer Zahl anwesenden Ü60er schon mal aufzulockern.
Von ‘Gypsy’ ging es in dieser knappen Stunde über ‘Shadows Of Grief’, ‘July Morning’, ‘Stealin’ schließlich zum kräftig mitgesungenen ‘Easy Livin”, vor allem das einzig verbliebene Gründungsmitglied (seit 1969!) Mick Box bezauberte an der Gitarre und Phil Lanzon durfte sich ausgiebig an seinen Orgeln austoben. Hat auch dem Nachwuchs Spaß gemacht, auch wenn die Dame in Schwarz heute nicht besungen wurde – schließlich geht’s doch vor allem um den Mann in Gold, beziehungsweise sein hoffentlich ebensolches Stimmchen.
Die Umbaupause fällt erfreulich kurz aus, zudem kann man sich wunderbar die Zeit damit vertreiben, die Textfragmente auf dem blutroten Bühnenvorhang den einzelnen Songs der britischen Metal-Legende zuzuordnen – sehr kommunikative und die Erwartungen weiter steigernde Idee! Aber Show-Choreographie können sie sowieso, was sich heute immer wieder zeigen wird.
Als ‘War Pigs’ erklingt, machen wir mit dem Mitsingen grade weiter, der Vorhang fällt und es geht mit ‘Firepower’ endlich los – Fäuste in der Luft, Rob auf der Bühne, Jubel, Staunen und die ersten Reihen sortieren sich untereinander nochmal neu, denn – ich kann’s kaum glauben – ein Moshpit bei JUDAS fuckin’ PRIEST!? Leute, you fuckin’ rule! Daher fragt mich bitte auch nicht nach solchen Nebensächlichkeiten wie dem Sound der einzelnen Akteure, ich habe hier vorne ständig genauso viel Mitgröhlen und “Priest! Priest! Priest!”-Schreie im Ohr wie Klänge von der Bühne, und muss außer selbst mitsingen und applaudieren andauernd um meinen Platz kämpfen, das hier ist der reinste Wahnsinn, Bier, Schweiß und Tränen, das ist Metal pur, das sind die – nee, dazu kommen wir ja erst später…
Denn jetzt geht’s hier ab…ach, wie ich diese Ein-Wort-Titel liebe! ‘Grinder’, ‘Sinner’, (ok, ‘The…) Ripper’, und die Menge dreht komplett durch, Crowdsurfer, Circlepit, ja wo bin ich denn hier gelandet, und in welchem Jahr? Jeder Song wird abgefeiert, jeder im Publikum gibt jetzt schon alles – unglaublich, was für ein Spaß! Mein großer Dank geht an dieser Stelle an meinen Gentleman-„Leibwächter“ aus Essen, ohne dessen tatkräftigen Einsatz und sein alle-eine-Armlänge-entfernt-von-mir-halten photographieren gar nicht möglich gewesen wären!
Richie Faulkner lässt, trotz aller offensichtlicher Reminiszenzen, K.K. Downing locker vergessen, wobei er zusätzlich Parts von Glenn übernimmt, er post auf eine so abgebrühte Weise wie es nur ein echter Leadgitarrist kann, seine Gitarre hat dabei den klarsten und anführenden Sound heute Abend. Auch sein Gegenpart Andy Sneap versucht, seine britische Zurückhaltung aufzugeben und etwas mit dem Publikum zu interagieren, während sich Ian Hill wie seit Jahrzehnten im Hintergrund durchgrummelt. Uhrwerk Scott Travis ist auch so ein optischer Berufsjugendlicher, der unter vollem Körpereinsatz mit seinen glänzenden Stöcken jongliert und sich freut wie ein Schneekönig, aber jetzt bringt uns der Boss erst mal „the head of the demon“, schließlich ist das die ‘Firepower-Tour’ und auch wenn lange nicht jeder hier das neue Album kennt, mitgegangen wird natürlich trotzdem. Und falls jemandem altersbedingt nicht mehr einfallen sollte, von welchem der 18 Studioalben ein Titel stammt, gibt im Hintergrund stets das jeweilige Albumcover Auskunft. Generell wird ausgeklügelt mit Licht gespielt und in Szene gesetzt, auch das Publikum kann sich wie im Stadion auf der Leinwand selbst suchen.
Die große Frage liegt ja immer in der Luft, jetzt folgt die Nagelprobe, kann Rob noch so richtig nach Rache schreien? Oh ja, auch das klappt heute bestens, wie ‘Bloodstone’ zeigt, seine Stimme ist kraftvoll und fast alterslos, in Dortmund singt er im Vergleich zu anderen Konzerten der Tour immer wieder auch in den höheren Lagen. Zum ersten Mal in ihrer 48-jährigen Karriere geben die Birminghamer ‘Saints In Hell’ von der ‘Stained Class’ zum Besten, Halford stolziert in diversen glitzernden und nietengespickten Jacken wie eh und je als Maestro über die Bühne, nutzt sein Mikro wie ein Szepter und fummelt den Gitarristen scheinbar in ihre Soli hinein – manche Dinge ändern sich glücklicherweise einfach nie.
Und so rasen wir, wie sich später zeigen wird, mehr als hundert Minuten durch die NWoBHM-Geschichte einer der einflussreichsten und für mich persönlich wichtigsten Metalbands der Welt, für jeglichen Geschmack wird etwas geboten, sei es der Klassiker ‘Tyrant’, Discotime mit ‘Turbo Lover’, Stehblues mit ‘Night Comes Down’, und als während einer Halford´schen Umziehpause ‘Guardians’ erklingt, packt mich zum ersten Mal an diesem Abend die Ganzkörpergänsehaut, und ‘Rising From Ruins’ wird Wort für Wort und mit schon deutlich trockener Kehle mitgesungen; bei ‘Hell Bent For Leather’ dampft Rob tatsächlich mit der üblichen Harley auf die Bühne und dann wird es, gerade beim vieldeutigen ‘Painkiller’, sehr schwermütig und schmerzlich: im Hintergrund flackern alte Schwarzweiß-Aufnahmen von Glenn über die Leinwand, und ich trauere äußerst bewegt der roten Lederhose nach. Jedoch, eine sehr schöne Geste, ihn damit doch noch irgendwie dabei zu haben, denke ich mir in der kurzen Pause vor den Zugaben.
Ich hoffe natürlich auf meinen Lieblingssong und werde nicht enttäuscht, das mächtige Twin-Riff erklingt, doch dann setzt kurz mein Herz aus – ich stehe inzwischen rechts vor der Bühnenmitte und auf einmal steht er direkt vor uns – Mr. Tipton himself!
In mir tobt ein Aufruhr an Gefühlen, komplette Überraschung, Rührung, kindliches Staunen und Freude, und gleichzeitig Trauer…jetzt geht die Gänsehaut gar nicht mehr weg (und kommt gerade beim Schreiben nochmal zurück…), ich bin wie gelähmt und zappelig zugleich. Glenn spielt alle vier Zugaben mit und wird dabei auch körperlich immer lockerer, bis er schließlich über beide Backen strahlt, und mir scheint, dass vor allem Rob mehr als glücklich ist, nochmal mit seinem jahrzehntelangen Gefährten zusammen auf der Bühne zu stehen.
True ‘Metal Gods’!!! Sie rocken sich noch durch das unvermeidliche ‘Breaking the – what?’, eine epische Version von ‘No Surrender’ sowie zum Abschluss ‘Living After Midnight’, beschenken das Publikum mit Devotionalien, ja, und das war’s, mein zweites Judas Priest-Hallenkonzert seit der ‘Turbo’-Tour, und ein Kreis schließt sich. Dehydriert und hochzufrieden schwanke ich aus der Halle, überall hört man „Auf zum Party.San!“-Rufe. That’s Metal!
Und da nach solch einem Erlebnis natürlich keiner sofort schlafen kann, mache ich mich auf den Weg zum BlackEnd, der angeblich geilsten Metalkneipe in Dortmund. Doch leider ist heute Nacht geschlossen, aber andere haben diesen Tipp genauso bekommen und so findet die inoffizielle After Show Party gegenüber auf der Strasse vor einer Trinkhalle statt, wie es sich unter Metalheads gehört völker- und regionenverbindend mit der Bremer Crew und den Leistenschneider-Twins desde El Salvador – you reign 😉 !!!
Und später auf dem Heimweg denke ich wieder einmal: “Oh what a night!”
Setlist Dortmund 08.08.18: