DARK STAR – HR GIGERS WELT
2014 (Frenetic Films / Columbus Film) – ein Film von Belinda Sallin
„Er fühlt sich im Unheimlichen zuhause. Das, was wir alle fliehen, ist sein Zuhause.“
(Andreas J. Hirsch, Kurator/Autor/Photograph, Wien)
Hans Rudolf Giger, geboren am 5. Februar 1940 als Sohn des Dorfapothekers von Chur, studierter Innenarchitekt und Industriedesigner, gilt als einer der grossen Visionäre der surrealen Gegenswartskunst und Popkultur. Jeder kennt die ‚Alien’-Figur, für die er 1980 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, seine weiteren SciFi-Filmausstattungen wie ‚Poltergeist’ oder ‚Species’, sowie seine gleichzeitig verstörenden wie hochästhetischen, meist grossformatigen Sprühpistolenbilder, die Zeitgeschichte schrieben und auch ihren Weg auf so manches nicht nur metallische Plattencover, Bandshirt und Tattoo (siehe auch unseren Nachruf / Artist of the Century hier) fanden. Viele seiner Werke kann der interessierte Kunstfreund im HR Giger-Museum in Gruyères, Schweiz, bewundern.
Wem jedoch der Weg dorthin zu weit ist, oder wer sich dem Menschen Hansruedi eher durch dessen eigene Aussagen und die Zeugnisse seiner engsten Verwandten und Freunde annähern will, dem sei der hier vorgestellte, sehr persönliche, ja fast schon intime Film empfohlen, der kurz vor Gigers Tod von der schweizerischen Dokumentarfilmerin Belinda Sallin bei ihm zuhause sowie an verschiedenen weiteren, mit HRG eng verbundenen Schauplätzen wie dem Ferienchalet seiner Eltern auf Alp Foppa oder eben in seinem Museum in Gruyères gedreht wurde.
HRG zeichnend mit Müggi III
Wir begleiten für gut anderthalb Stunden das Leben des hochbetagten Künstlers in seinem grossen, gastfreundlichen, aber auch genauso verwinkelten und chaotischen Haus in Zürich-Oerlikon, das eigentlich aus drei miteinander verbundenen Reihenhäusern besteht, in denen ständig die Fernsterläden geschlossen bleiben, und das so dermassen mit Büchern (in der Badewanne türmen sie sich fast bis an die Decke), obskuren wie okkulten Objekten, Kunstmaterialien und biomechanoiden Kunstwerken vollgestopft ist, dass es schon fast ein Eigenleben zu führen scheint. CELTIC FROST / TRIPTYKONs Thomas Gabriel Fischer, einer seiner langjährigen Assistenten und Freunde, sagt hierzu, dass HRG immer irgendwo im Haus sei, aber niemals ständig präsent – das Haus würde ihn sozusagen verschlucken und manchmal sähe man Giger den ganzen Tag nicht ein einziges Mal. In seinem letzten Lebensjahr hat er sein Zuhause und den es umgebenden, geheimnisvoll-zugewucherten Garten mit der selbstgebauten Geisterbahn kaum noch verlassen – eine Parallelwelt mitten in der Großstadt Zürich, in der, wie seine zweite Frau Carmen Maria Giger es beschreibt, „Alles anders [ist] als normal“.
In diesem Biopic erleben wir den Künstler vor allem als Beziehungsmenschen, der noch Jahrzehnte nach dem Freitod seiner grossen Liebe, der Schauspielerin Li Tobler, die als ätherische Schönheit in den ‚Li’-Bildern oder ‚The Spell I / II’ weiterlebt, um Fassung ringt, wenn er von ihrer gemeinsamen Partnerschaft und ihrem Tod spricht. Seine beiden Ehefrauen kommen genauso zu Wort wie seine temperamentvolle spanische Schwiegermutter Carmen Scheifele de Vega, die ebenfalls eine Assistentenrolle im Hause Giger innehat und sich vor allem um Korrespondenz und Buchhaltung mit 20th Century Fox, der ‚Alien’-Produktionsfirma, kümmert.
Zeitgenossen und Freunde wie der Postermacher und Galerist Hans H. Kunz, entwerfen ein Bild des Menschen Giger, wenn er vom ersten, fast schüchternen Besuch des stets schwarz gekleideten jungen Mannes in seinem Poster Shop erzählt. Bescheidenheit, Liebenswürdigkeit und Grosszügigkeit – all dies wird Hansruedi, dem Schöpfer so verstörender wie albtraumhafter Welten bescheinigt, der selbst von seiner Kunst sagt: „Ich denke immer wieder, wenn ich dieses Bild dem Vater oder der Mutter zeige, die erschrecken ja zu Tode“.
Hans H. Kunz & Leslie Barany
„Er braucht keine offenen Augen um zu sehen“ – für mich besonders überraschend, aber frappierend naheliegend war Gigers Freundschaft zu dem grossen humanistischen Psychotherapeuten, LSD-Forscher und Erfinder des holotropen Atmens Stanislav Grof, der Hansruedi als echten Visionär und ‚Channel’ für das Unbewusste und für ausserpersonale Bewusstseinszustände beschreibt, und in dessen Werk er die wichtigsten menschlichen Erfahrungen als Grundthemen in einem unendlichen Kreis immer wieder findet: Geburt, Sexualität und Tod. Giger war dabei nur der Überbringer der dunklen Botschaften, er kartographierte unsere Albträume, zeichnete Landkarten des Unterbewussten und modellierte unsere Ur-Ängste.
“I call Hansruedi a visionary, because he portraits accurately certain dark areas, that we all have, that are related to the trauma of birth, which we have never consciously processed. He also uses what Jung would call archetypal images, those are not ordinary images of every day.” (Stanislav Grof)
Eine weitere wie die bekannte Schädel-Anekdote aus seiner Kindheit berichtet von seinem Umgang mit Angst: als kleinen Jungen nahm ihn seine Schwester eines Sonntagmorgens mit ins Rätische Museum in Chur und zeigte ihm eine Mumie, was Hansruedi fürchterlich erschreckte. Doch er konfrontierte sich mit seiner Furcht, indem er jeden einzelnen Sonntag wieder dorthin ging, solange bis seine Faszination für die tote ägyptische Prinzessin überwog. Sein Interesse an Ägyptologie, dem Tod und seine Vorliebe für überhöht schöne, weibliche Protagonistinnen nahm offenbar genau mit diesem Erlebnis ihren Anfang.
Giger kämpft Zeit seines Lebens mit Ängsten, die aus seinem Inneren aufsteigen oder ihm in seinen Träumen begegnen. Bannt er sie auf die Leinwand, dann heilt ihn das. Tom Warrior beschreibt, wie HRGs Kunst auch eine Brücke zu seinen eigenen Ängsten und Schatten ist, wir erleben TRIPTYKON bei Aufnahmen in ihrem mit Giger-Motiven gepflasterten Proberaum. Tom, der nach Gigers Tod Co-Direktor seines Museums wurde, erzählt wie der frisch gekrönte Oscar-Gewinner als einziger in der Schweiz die noch völlig unbekannten CELTIC FROST ernst nahm, ihnen seine Bilder für ihre Plattencover anbot und fürderhin ihr Mentor wurde, was ihrer Popularität und vor allem ihrem Renommee natürlich überaus nützlich war. Die enge, sehr von gegenseitigem Respekt geprägte menschliche Beziehung beider spiegelt sich in ihren Blicken und Dialogen wider.
Der Schweizer hatte aber auch einen ganz eigenen, verschmitzten Humor, der in vielen Momenten dieses Films genauso aufblitzt wie der Schalk in seinen Augen. So berichtet er von den Dreharbeiten zu ‚Alien’, dass dem Produzenten die schlitzartige Öffnung der Alien-Eier einer Vagina zu ähnlich war. Da der Film auch in katholischen Ländern gezeigt werden sollte, bat er Giger, dies zu überarbeiten, was er auch tat: er habe eine doppelte Vagina daraus gemacht, und damit gleichzeitig ein Kreuz, was Katholiken ja so gerne betrachten würden, lacht HRG.
Mit 74 blickt der sichtlich erschöpfte, aber zufriedene Giger auf ein ausgefülltes und anstrengendes Leben, seine persönliche Reise in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele, in sämtliche Schattierungen von Dunkelheit zurück. Er weiss, dass diese Reise bald zuende sein wird, und hofft, dass es kein Leben nach dem Tode gäbe, er habe genug erlebt und brauche dies nicht noch einmal.
Sein Wunsch nach einem schnellen Tod wurde ihm erfüllt. Hansruedi Giger verstarb kurz nach den Dreharbeiten am 12.Mai 2014 an den Folgen eines Sturzes auf den steilen Stiegen seines Hauses.
“Wer vor meinen Bildern Angst hat, hat die Realität nicht begriffen.”
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Alle Bilder © FRENETIC FILMS / Darkstarmovie 2014