BEN REEL – Land Of Escape
2018 (Tap-Water Records) – Stil: Rock
Ein erstes Anhören war wohl oberflächlich, denn Ben Reel, Singer-/Songwriter aus der nordirischen Provinz South Armagh, konnte mich mit seiner weichen, entspannten Platte “Land Of Escape” nicht ansatzweise erreichen. “Überkitschtes Gejammere” schien mir noch die positivste Beschreibung zu sein. Der Sound glasklar und sehr modern. Die Beats alle mit einem sehr zappeligen Groove versehen, was ja auch aktuell angesagt ist. Tanzbare Singer-/Songwriter-Musik, harmlos, sich wieder und wieder an üppiger Süßlichkeit übertrumpfend, so mein erstes Fazit.
Dann hört Sir Lord Doom noch einmal genauer hin und schon eröffnen sich ganz andere Aspekte, welche dem Material viel Tiefgang und Ausdruck schenken. Ben Reels Stimme ist weich und vielleicht ein wenig weinerlich, wobei er Neil Young-Territorien ausspart. Sein oft mit viel Hauch eingesetzter, leicht rauchiger Gesang offenbart eine eigensinnige Stimme. Das schmeckt mir. Die Melodien sind irgendwie vertraut und die Abläufe in der Instrumentierung haben ebenfalls einen Ausdruck, den ich als potentieller Konsument schon erlebt habe. Aber das Gesamtbild ist stimmig. Der klare und wie ich finde moderne Klang ist auch sehr lebendig. Die Arrangements sind großartig, sehr üppig, jede Note sitzt fast perfekt und die selbst in den leichteren Passagen ständig präsente Schwermut spricht von einem Erzähler, der sich seines Lebens freut und dabei seine von der Zeit gerissenen Wunden leckt. Die modernen Soundelemente aus dem Lehrbuch der neuen Popmusik, wie zähflüssige, verhallte Drumloops unter einem Piano mit durchdringend melancholischer Gesangslinie darüber, sind dann auch irgendwann einfach ein schöner Farbtupfer.
1975 ist vorbei. Neil Young und Bruce Springsteen haben mit ihren 70er Meisterwerken sicher Pate gestanden, insbesondere Malocher-Rock-König Springsteen, weswegen Ben Reel natürlich sämtliche Originalität flöten geht. Aber darauf legt der Mann es auch nicht an, wie ich meine. Hier wird schlichtweg schöne und wunderbar arrangierte Musik geboten, Americana der vollkommenen Art. Tolle Muster aus Streichern, perlendem Piano, wortlosen Backingchören und Bombast sind hier genauso daheim wie leichte Akustikgitarrenläufe mit etwas Klavierbegleitung und sonnigem Countryflair, was mich irgendwie an eine morgendliche Frühstücksgesellschaft auf der Veranda eines alten Herrenhauses kurz nach Sonnenaufgang denken lässt. Der Blick schweift über weite goldene Kornfelder und die Menschen am Tisch lachen und singen. Gospelanleihen tauchen auf. Der Nordire fühlt sich gar nicht so irisch an. Ben Reel wäre wohl nicht Ben Reel, wenn er solch einen schlichten Americanasong nicht auch zum Ende hin in die absolute Üppigkeit führt.
Habe ich schon erwähnt, dass sanft fließende Balladen auch das Ding des Meisters sind. Hier wieder mit der vollen Kelle Melancholie, aber einem Gefühl von Versöhnlichkeit interpretiert. Das Album schwenkt zwischen Herbst und Frühling, zwischen tiefer Melancholie und der erfrischenden Lebensfreude eines Welpen, der einfach nur glücklich ist, auf der Welt zu sein. Es ist ein schlichtweg schönes Album, in warmen Brauntönen von frischem Herbstlaub, in einem goldenen Gewand sommerlicher Kornfelder, wie oben schon erwähnt, in einem sanften Grau eines Regentages. Hier ist alles sanft, weich, üppig und freundlich. Das Album ist genau eines, es ist liebevoll. Auch solche Alben gibt es und manchmal, selbst wenn die Abgründe fehlen und der zwar verwundete Protagonist sich mit dem Leben aussöhnt, ist solche Musik wirklich das perfekte Werkzeug, einen wunderbaren Tag zu emotionalisieren. Doch wer weiß, ich habe das Gefühl, als tauchten diese Abgründe auch noch auf, wenn man lange genug in die Musik hineinhört. Dann hört sie nämlich auch in Dich selbst hinein.
10 Punkte für die Schönheit der Songs, 6 Punkte für Originalität und Kreativität, zusammen gute 8 Punkte und eine Empfehlung für Fans von Neil Young, Bruce Springsteen und dergleichen, großen Künstler.