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GROBSCHNITT – Kinder + Narren

~ 1984 (Metronome, Brain 817.836), 2015 (Brain, Universal Music) ~


Du gehst fort – Ich halt dich noch fest
Oder – hab ich dich schon verloren?

Die Zeiten des Umbruchs traten von Jahr zu Jahr offensichtlicher zu Tage, musikalisch wie auch personell. Eine neue Zeitenrechnung begann im Hause GROBSCHNITT spätestens nach der ´Razzia´-Tournee, denn Trommler und einer der Bandgründer sowie Ideengeber Eroc verließ die Gruppe und widmete sich lieber seinen Solo- und Studioprojekten. GROBSCHNITT verpflichteten Peter Jureit (CONDITORS) für die Schlagstöcke und integrierten endgültig Keyboarder Jürgen Kramer in die Band. Ohne Keyboarder Volker ‘Mist’ Kahrs und den humorvollen Schlagzeuger Eroc sollte sich insbesondere in diesen Sound- und Studiotechnisch umwälzenden Zeiten die musikalische Ausrichtung ändern. Frohen Mutes sollte `Kinder + Narren´ in den ‘Woodhouse Studios´ in Dortmund, das Siggi Bemm und Eroc eröffnet hatten, aufgenommen werden, jedoch bewusst ohne Eroc als Engineer. Zudem nutzten sie die mannigfaltig sprießenden Ideen der frischen Besetzung und kreierten ein weiteres Konzept-Album mit Fantasy-Bezug. Die Plattenfirma ‘Metronome’ war bei der Album-Präsentation selbst absolut euphorisch und initiierte umfangreiche Promotion-Aktionen. Das Rundfunk-Airplay der Single ´Wie der Wind´ bescherte dem Album einen zusätzlichen Schub.

Die jüngste Auflage erhält als neuen Opener den bislang unveröffentlichten Titelsong, eine Keyboard-geschwängerte Einführung in das Konzept anhand eines gesprochenen Vortrages. Die ehemalige Eröffnungsnummer ´Paradox´ offenbart anschließend die Wandlung von GROBSCHNITT. Annähernd Neo-Progressive Klänge verschwimmen im Pop-Arsenal des E-Drumsets. Allein die Ausführung zeigt einen Art-Pop, der in kurzen Momenten auf andere Größen jenseits des Atlantiks, die TALKING HEADS verweist und erstmals das öfters im weiteren Verlauf auftauchende “Keine Angst”-Motiv erwähnt. Das ´Orakel´ schenkt hallenden, Achtziger-Jahre-Gesang aus. Ein Soundgemisch, das seinerzeit ebenso Größen wie GENESIS unterbreiteten, bei denen man hingegen gerne mit James „Sonny“ Crockett und Ricardo Tubbs in einen flotten Schlitten gestiegen wäre. Die Ballade ´Ich liebe Dich´ verspricht ebenfalls Tony Banks-Tastenanschläge. Musik, von der sich später Gruppen wie CLOWNS & HELDEN ihre Inspiration suchen sollten.

Der schwelgende Pop-Song ´Geradeaus´ holt die Gitarren nur im Wüstensand heraus, schenkt flüchtig ein Calypso-Feeling aus und beglückt nur im Hochgesang mit prickelndem Vergnügen. Zudem entdeckt Wildschwein seine Freude am Saxofon, derweil diesmal neben Wildschwein auch Toni Moff Mollo und Bassist Milla Kapolke am Mikrofon feste Plätze einnehmen. Röhrende Gitarren tauchen ab und an im flauschig Synth-blubbernden ´Keine Angst´ auf. Oftmals können obendrein Parallelen, u.a. in ´Augenstern´, zu den zwischen 1980 und 1985 existierenden SPLIFF gezogen werden. Die wahren Höhepunkte folgen allerdings im Finale. ´Wie der Wind´ ist mit einer Gitarre á la Mark Knopfler eine Nummer aus dem Lehrbuch, wie ihn scheinbar ansonsten nur deutsche Ost-Rock-Combos schreiben konnten, ´Die Kinder ziehn zum Strand´ ein nicht enden mögender, herrlich mysteriöser Endzeit-Ohrwurm sowie der Dark Epic aus den Achtzigern ´Könige der Welt´. Alle drei Kompositionen stammen wie auch ´Keine Angst´ und ´Geradeaus´ aus der Feder von Lupo und Willi Wildschwein.

Obgleich GROBSCHNITT mit ´Kinder + Narren´ breitere Fanscharen für sich begeistern konnten, dürften sich längst weitere Altanhänger abgewandt haben. Der gewöhnliche Lauf bei einer längeren Bandgeschichte und ihr innewohnenden Veränderungen.

Wir waren bei Euch, doch wir gehörten euch nie.
Ihr durftet uns Liebe geben, doch nie eure Gedanken, denn wir haben unsere eigenen Gedanken.
Ihr dürft versuchen, uns gleich zu werden, doch versucht nie, uns euch gleich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts – noch bleibt es im Gestern.

Das Werk befindet sich, wie alle enthaltenen CDs der 2015 veröffentlichten GROBSCHNITT-Box, in einem edlen Mintpack, einem dünnen Gatefold-artigen Digipack und hat als Bonus vor allem alternative Versionen von drei Album-Songs, von denen ´Wie der Wind´ besser ungehört bliebe, drei Live-Songs (´Paradox´, ´Orakel´ und ´Die Kinder ziehn zum Strand´) sowie einen alternativen Mix von ´Wie der Wind´ anzubieten, um so auf die anvisierte Gesamtlauflänge jeder CD der Box von 79:10 Minuten zu gelangen. [Weitere Informationen zur Box und gesamten Bandgeschichte befinden sich hier]

GROBSCHNITT traten zu diesen Zeiten genauso wenig zu ihren alten Taten wie die GENESIS der 80er mit denen der 70er Jahre in Konkurrenz. Allein Enthusiasten der frühen Achtziger Jahre und des deutschen Gesangs sollten ohne große Anlaufschwierigkeiten in ´Kinder + Narren´ ein echtes Juwel ausfindig machen. Nach dezenten Anlaufschwierigkeiten folgen ausschließlich extraodinäre Songs aus der Feder der “unbestrittenen Herrscher des Deutschrock aus Hagen”.

(8 Punkte)

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