BOHREN & DER CLUB OF GORE
~ 09.02.2018, Alte Feuerwache Mannheim ~
Wenn sich der langhaarige Lederjackenträger neben das Feuilletonpublikum in die Stuhlreihe quetscht, dann sind vermutlich mal wieder drei Herren in Schwarz in der Stadt und laden zu einem ent-spannenden Abend ein, an dem zwar das Meiste im Dunkeln gelassen, die Stimmung aller Anwesenden jedoch schon fast unerträglich erhellt wird – um mal im Jargon der Mülheimer zu bleiben.
Zum bereits vierten Mal in ihrer nun doch schon dreißigjährigen Bandgeschichte geben sich die Pioniere des Dark Jazz in der Mannheimer Feuerwache die Ehre, und gut über zweihundertfünfzig Altfans wie Novizen kommen knapp zwei Stunden lang in den Genuss des düsteren, extrem ent-schleunigten musikalischen Minimalismus der drei Postromantiker aus Nordrhein-Westfalen.
“Wir sind BUDCOG, drei postromantische SPD-Wähler aus NRW.”
Als Erklärung für all diejenigen, die (leider) noch nie bei einem BOHREN-Konzert zugegen waren und sich über die doch leicht kontrastfreien Bilder wundern, sollte ich besser erst einmal erklären, wie sie sich das Ganze vorzustellen haben: Bühne wie Zuschauerraum sind so dunkel wie nur möglich gehalten, allein eine Handvoll Punktstrahler helfen den Musikern, ihre diversen Instrumente zu bedienen, und den Zuschauern, sich zumindest vorzustellen, wie die Protagonisten dort oben aussehen könnten. Ich selbst ziehe es vor, auch einmal die Augen zu schließen, denn das ausgesucht wenige, was heute Abend hier passiert, ist gleichzeitig so hochkonzentriert wie Seele und Geist beruhigend, ´uneventful music´ in ihrer ganzen Herrlichkeit eben.
E-Kontrabassist „Das Murmeltier“ Robin Rodenberg bedient gelegentlich, genauso wie es Organist/Mellotroniker „Der Bummelbär“ Morten Gass sowie auch „Die dumme Sau aus Köln“ tun, das seit Ausstieg von Drummer Thorsten Benning nur noch in Fragmenten vorhandene, über die Bühne verteilte Schlagzeug, heutzutage fast nur noch aus Hi-Hat und Becken sowie zur Bassdrum umfunktionierter Tom bestehend. Wie um dessen scheinbare Entbehrlichkeit noch zu akzentuieren, dreht sich die Snare als Discokugeldrum nur noch rein dekorativ neben der Orgel, und versprüht dabei denselben kargen Charme wie die lakonisch-wortarmen, oft von einem Räuspern unterbrochenen und vor allem tiefschwarzhumorigen Ansagen von Saxophonist/Vibraphonist Christoph Clöser. Diese spiegeln perfekt den Geist dieser Band wider, die in ihrer ureigenen Doppeldeutigkeit und Ironiebegeisterung mit ihrer möglicherweise tatsächlich vorhandenen Scheu und Zurückhaltung spielt, um das Publikum damit gleichzeitig zu verwirren wie zu erheitern. Hier wird mit der Erinnerung an Ingrid Steeger (´Unrasiert´) oder „dem einzigen deutschen Bond-Girl Karin Dor“ (´Karin´) ein 60er-Jahre-Ruhrpott-Charme zelebriert, der die Band angenehm aus der Zeit fallen lässt und zu ihrer Pin-Up-Ästhetik passt.
“Man fragt uns immer wieder, ob wir nicht einmal Filmmusik schreiben wollen. Dabei vergisst man, dass wir das schon lange hinter uns haben, und zwar mit einem Klassiker des Porno von 1977 mit dem Titel „Die goldene Banane von Bad Dieburg”. Wir widmen daher das Stück ´Unrasiert´ Ingrid Steeger.”
“Das nächste Stück handelt von Frauen, jungen Frauen, die früh nach Amerika gegangen sind und dort unter die Räder geraten. Karin kam nicht unter die Räder, dies ist eine Verbeugung vor dem einzigen deutschen Bond-Girl Karin Dor, die letztes Jahr verstorben ist.”
Gesamtkunstwerk hin- oder her, nun aber endlich mal zur Musik! BOHREN & DER CLUB OF GORE haben sich, ursprünglich aus dem Hardcore und extremen Metal kommend, ihre ureigene Nische eingerichtet, indem sie ihre Instrumentierung dem Jazz entliehen und nun damit doomigen, verhallt-atmosphärischen, rein instrumentalen Lounge-Jazz (´Skeletal Remains´) mit einer bedrohlichen Ambient-Mellotroneinfärbung (´Constant Fear´) spielen.
“Das nächste Stück handelt von Leuten, die immer Angst haben, es heißt ‘Constant Fear’.”
Ihre Musik ist extrem verlangsamt, getragen und auf das Allernotwendigste reduziert, ohne dadurch jemals an Stimmung zu verlieren – ganz im Gegenteil, jeder Ton, jeder Anschlag und jedes Zupfen gewinnen hierdurch an Bedeutung und Wichtigkeit (´Still Am Tresen´). Ein Kritiker könnte BUDCOG (wie auch vielen Klassikerbands geschehen…) vorwerfen, ihre Kompositionen seien eintönig, die Band hätte zu Karrierebeginn einen guten Song geschrieben und würde diesen immer nur repetieren, doch dieser Einwand bliebe an der Oberfläche, ohne sich wirklich mit dieser einzigartigen Musik auseinanderzusetzen. Sie wird oft mit Filmmusik verglichen, und ich fühle mich heute wieder oft an ULVERs ´Perdition City´ mit dem Untertitel ´Music to an Interior Film´ erinnert (´Midnight Black Earth´), denn genau das ist es, was beim Zuhörer abläuft: Eintauchen, Versinken in das eigene Kopfkino, freies Assoziieren, Los- und Treibenlassen…es ist ein düsteres, trotzdem warmes, altmodisch-verrauchtes Flair (´Im Rauch´), das eine fast meditative Ausstrahlung hat und große Weite, echten Raumklang atmet, und in dem sich wunderbar wegträumen lässt. Rodenbergs E-Kontrabass steht sehr schön verhallt im Vordergrund, Gass´ Piano und Fender Rhodes hält sich zurück und alles zusammen, und Clöser´s Tenorsaxophon schließlich bestimmt heute noch mehr als sonst, wohin die Reise geht, es kommen sowohl sehr lange als auch eher kurze Stücke vor allem von den Alben ´Dolores´, ´Piano Nights´, ´Sunset Mission´ sowie meinem Favoriten ´Black Earth´ zum Vortrag, und es fällt äußerst schwer, nach zwei Zugaben schließlich wieder in die Realität zurückzufinden. Ein rundum gelungener, hochklassiger Konzertabend, der nur glückliche Gesichter in die kalte Winternacht entlässt.
“Ich möchte den heutigen Abend mit einem chinesischen Sprichwort beenden, das heißt: ‚Es ist nicht schlimm, wenn die Vögel des Kummers und der Sorge über unseren Köpfen kreisen. Aber es ist schlimm, wenn sie in unseren Haaren Nester bauen’“.
Und zum Abschluss nochmals ein Zitat der Westfalen: “Other Bands play, BOHREN bore” ? – never ever!