BELL WITCH – Mirror Reaper
2017 (Profound Lore Records) – Stil: Doom
BELL WITCH ist ein Doom-Duo (Ja, sowas gibt es) aus Seattle, das auf seinem jüngsten Longplayer ´Mirror Reaper‘ ganz eigene Maßstäbe setzt. Zunächst kann der geneigte Hörer das außergewöhnliche Artwork des polnischen Künstlers Mariusz Lewandowski bewundern, bevor er beim Blick auf die Track-Liste entsetzt feststellt, dass es nur einen Song auf diesen Album gibt. Nachfolgend könnte sich folgender Dialog mit der Band ergeben:
„Und dafür habe ich nun 8,99 Dollar bezahlt?“ „Nicht gleich aufregen, junger Mann, betrachte doch mal die angegebene Track-Länge“ „Oha, das sind ja fast anderthalb Stunden. Ich wollte doch Metal kaufen und jetzt habe ich eine Prog-Scheibe erwischt“ „Wir spielen Doom-Metal und keinen Progressive-Rock“ „Hey, jetzt sehe ich, ihr seid ja nur zwei, und keiner von euch spielt Gitarre! Und dann setzt ihr noch so ne olle Hammond ein. Ich hoffe sehr stark für euch, dass das nicht wie Deep Purple klingt. Die hört mein Papa immer.“ „Keine Angst, Kleiner, wir können auch ohne Gitarre heavy klingen. Hör’ doch mal rein“
Und genau das mache ich jetzt auch. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt einen 83-Minuten-Song gehört habe und die spannende Frage ist, ob BELL WITCH in der Lage sind, den Spannungsbogen über eine so lange Distanz zu halten. Selbst YES haben das über kürzere Distanzen nicht immer geschafft.
83 Minuten später:
Sie halten die Spannung. Ich habe 83 Minuten auf der Stuhlkante verbracht und versuche mal zu beschreiben, was ich erlebt habe. Doom-Metal ist langsam, aber BELL WITCH sprengen die Grenzen des Genres. Als moderner Hörer, der hektisches Gefrickel im Metal gewohnt ist, muss man sich komplett umstellen. Auf ´Mirror Reaper´ lernt man wieder die Schönheit lang ausklingender Töne schätzen. Düstere Klangwolken entschwinden ins Nichts. Töne verklingen, während sich andere langsam verdichten und hervortreten. Die Zeit scheint langsamer zu vergehen. Manchmal bleibt sie stehen, wenn nach einem unheilvollen Ausbruch karge Hammond-Soli im Niemandsland verhallen. Die Instrumentation mit dem Bass als tragendes Element, Orgel, Drums und vereinzelten Gesangseinsätzen setzt ´Mirror Reaper´ noch weiter von anderen Genre-Vertretern ab. Dabei strahlt das Album (oder soll ich sagen der Song) eine kaum auszuhaltende Verzweiflung aus. Leute mit Depressionen sollten hier besser Abstand halten.
Es ist vielleicht ein bisschen zu früh, hier von einem Meilenstein zu sprechen, aber BELL WITCH legen zumindest eines der spannendsten Alben des ausgehenden Jahres vor. Und ein düsterer Sonderapplaus gebührt dem musikalischen Mut des Duos.
(9 Punkte)