PAYNE´S GRAY (Part IV – Fall from the back of Shantak)
Ausführungen von Michael Bähre
Kennt Ihr ´Kadath Decoded`? Ist Euch PAYNE´S GRAY noch ein Begriff?
Hier folgt Part IV unserer Aufarbeitung der Historie von PAYNE´S GRAY (Part III siehe hier).
Fall from the back of Shantak
Michael Bähre, ein Künstler aus Klein Offenseth-Sparrieshoop, zeigt uns in Part IV die Hintergrunde zum Cover-Artwork von ´Kadath Decoded` auf, mit ausführlichen Erläuterung bezüglich der konzeptionellen Umsetzung aus den Schriften H. P. Lovecrafts sowie einem brandneuen Bild, das er extra für diese Gelegenheit gemalt hat. Folgt seinen eigenen Worten:
Die Traumsuche nach dem unbekannten Lovecraft
Kurze Vorrede
Das Kadath-Projekt liegt nun schon rund zwei Jahrzehnte zurück, und der Alzheimer ist ein unbarmherziger Schnitter. Zudem habe ich mich auch danach noch teils intensiv mit Lovecraft beschäftigt und kann daher nicht ganz genau zwischen dem trennen, was ich damals dachte und was erst später an Erkenntnissen, Interpretationen und Irrtümern hinzu kam. Auch muss ich betonen, dass dieses Projekt lange vor meinem Eintritt in das Internet-Zeitalter umgesetzt wurde, meine Quellenlage sich daher im wesentlichen auf die Lovecraft-Erzählungen und meine Gedanken darüber beschränkte, und insofern sicher vielem, was man im Web so über Lovecraft und seine mutmaßlichen Intentionen lesen kann, widerspricht. Es handelt sich also um meine ganz persönliche Deutung und Auseinandersetzung mit dem Thema, ohne Anspruch auf die allein gültige Wahrheit erheben zu können und wollen. Im Übrigen sollten wir uns aber auch darüber im Klaren sein, denke ich, dass auch andere Autoren, die im Worldwide Web ihr Unwesen treiben, irren können und teils ganz abstrusen Ideen nachhängen, wie wohl die meisten von uns schon gemerkt haben werden, sofern ihnen Chemtrails und reptiloide Weltherrscher vom Sternbild Draco nicht vorher das Hirn verwässert haben. Dass auch meine Art zu malen sich seitdem verändert hat, mit Glück zum Besseren (was allerdings im Auge des Betrachters liegt), versteht sich, meine ich, ebenfalls von selbst. So kann man natürlich davon ausgehen, dass mein Beitrag zu einem solchen Projekt heute anders aussehen würde. Zudem muss ich gestehen, dass meine Erinnerung an Lovecrafts Werk einer Auffrischung bedarf. Ich hoffe aber, dass ich das Nötigste noch zusammen bekomme.
Der Titel des Albums stand übrigens seinerzeit noch nicht fest, weshalb ich meinen Teil des Projekts maximal originell „Dream-Quest of the unknown Lovecraft“ nannte. Um diesen Titel zu illustrieren hatte ich mir ein diffus ausgeleuchtetes Portrait Lovecrafts vorgestellt, bei dem das Schlaglicht sein Profil in Form eines Fragezeichens hervortreten lässt (siehe Bild 1 und Illustration 1). Diese Idee wurde schnell hinfällig als der Albumtitel feststand.
Die Kennenlernphase
Anfangs, und das war lange vor dem Projekt, war Lovecraft für mich nur ein besonders morbider Horror-Autor. Ich erinnere mich noch gut daran wie ich zum ersten Mal eine seiner Erzählungen las. Sein Name war mir schon länger aus den Schwermetall-Comics geläufig gewesen, in denen er des Öfteren erwähnt, zitiert und teils auch adaptiert wurde. Ich hatte ihn aber irgendwie eher für einen drogenseligen Hippie-Autor gehalten bevor ich erstmals etwas von ihm las (wohl wegen des Namens), und die Welt der Hippies war nicht unbedingt die meinige. Irgendwann waren mir aber Zweifel an dieser Theorie gekommen, und so kaufte ich mir, vor einem Friseurbesuch, das Buch „Cthulhu – Geistergeschichten“ aus dem Suhrkamp Verlag im örtlichen Buchladen. Und während die ambitionierte Coiffeuse bemüht war mein Haupthaar auf ein halbwegs zivilisationskonformes Maß zurechtzustutzen oszillierte mein Blick gebannt zwischen ihrem Dekolleté und dem frisch erworbenen Buch – zwischen Traum und Albtraum. „Wow, ganz schön krankes Zeug!“ sagte ich mir anschließend und meinte damit natürlich ausschließlich letzteres. Ich schwor mir sogleich aus vollem Herzen nie wieder etwas von Lovecraft anzurühren. Etwa ein halbes Jahr später füllte sein komplettes belletristisches Œuvre mein Bücherregal. Wie der selig-unselige Alhazred war auch ich gewaltig angefixt. Ach, hätte ich mich doch für das Dekolleté entschieden! Zu spät!!!
Nun interessierte ich mich seinerzeit nicht nur für fantastische Literatur und weibliche Extremitäten, sondern auch für Malerei, die ich mir zum Beruf erwählte, und Musik, insbesondere progressiven Metal. Und ich war eifriger Sammler von Demotapes aus diesem Bereich. Auf diesem Wege lernte ich PAYNE‘S GRAY kennen und war sofort Feuer und Flamme als ich erfuhr, dass sie planten die „Dream-Quest…“ zu vertonen. Es schien wie ein Fingerzeig der alten Götter. Getrieben von geradezu erdoganeskem Größenwahn bot ich mich sogleich als Illustrator an, was die arglosen Bandster überraschenderweise auch sofort akzeptierten. Das Unheil nahm seinen Lauf.
Zwischen den Zeilen reisen
Mein aufkeimendes Interesse für Lovecraft fiel in eine Zeit, in der ich mich auch für allerlei abseitiges, esoterisches und okkultes Zeug zu interessieren begann: Alchemie, Mythologie, Astrologie, Numerologie, Metallurgie, Mineralogie, Religion usw. Jedoch nicht, weil ich ein leichtgläubiges Kerlchen gewesen wäre, sondern wegen des abenteuerlichen ästhetischen Reizes, und weil mir schwante, dass all diese Lehren vor allem sprachlichen Charakter hatten, quasi einen erweiterten Zeichensatz anboten, und nicht zwangsläufig von all dem Spökenkram handeln mussten nach dem es, oberflächlich betrachtet, aussah. Darin war ich Lovecraft womöglich sehr nahe. Schon Athanasius Kircher (1602-1690) sagte, dass es in der Alchemie nicht wirklich darum gehe Blei in Gold zu verwandeln, „sondern Menschen in Goldmenschen“. Dass wir uns nicht falsch verstehen, sehr viele, wenn nicht gar die meisten oder gar alle der alten Alchimisten glaubten wirklich hanebüchenes Zeug und schossen oft sämtliche Inflationsängste in den Wind, während sie ihr Hab und Gut für das müßige Unterfangen verpulverten die Naturgesetze auf den Kopf zu stellen und Gold in industrieller Massenproduktion herzustellen (siehe hierzu auch Gustav Meyrincks pfiffigen, kleinen Text „Alchemie oder Die Unerforschlichkeit“). – Woher sollten sie es auch besser wissen? Die Zeichensysteme all dieser veralteten Lehren (wie etwa die von den sieben Planeten und Metallen), mögen sie auch auf Irrtümern beruhen, spielen seit jeher in der Weltliteratur, von Homer über Voltaire bis Tolkien und Eco – von Märchen gar nicht zu reden – eine bedeutende Rolle.
Dies wusste offenbar auch Lovecraft, der davon auf besonders originelle Weise Gebrauch machte. Am offensichtlichsten ist das wohl bei den Namensgebungen für seine sinisteren Gottheiten und Dämonen. Besonders exemplarisch zu erkennen an dem „Dämonensultan“ Azathoth. Der Name Azathoth leitet sich von dem alchemistischen Kunstwort AZOTH her, das sich aus den Anfangs- und Endbuchstaben von dreien der großen klassischen Alphabete zusammensetzt: Latein – A und Z; Hebräisch – Aleph und Thau; Griechisch – Alpha und Omega. Lovecraft verdoppelte lediglich Aleph und Thau. Über eine mögliche Intention hierfür kann man nur spekulieren. AZOTH steht in der Alchemie somit für Anfang und Ende, hat also einen starken Bezug zur Dimension Zeit und bezeichnet konkret die Vorstufe zur Erschaffung des Großen Werks bzw. des Steins der Weisen. Zudem wird Lovecraft nicht müde zu betonen, dass Azathoth tief in der Finsternis des Alls kauert und ewig nagt, was an die Ouroboros-Schlange denken lässt, die auf klassischen Darstellungen, stets in Form eines Kreises oder einer Acht drapiert zu sehen ist, also der Symbole für Unendlichkeit, an ihrem eigenen Schwanz nagend und sich so unaufhörlich selbst verschlingend. Ganz ähnlich übrigens wie die nordische Midgardschlange. Ein Sinnbild für das Werden und Vergehen, Schöpfung und Untergang, für die Zeit und die Wirklichkeit schlechthin. Einem Dämon also mit dem Lovecraft Zeit seines Lebens haderte, wie sich besonders aus seiner kurzen, essayistisch anmutenden Erzählung „The Silver Key“ ersehen lässt, die an die „Dream-Quest…“ anschließt und in der er sich vehement gegen die Wirklichkeit und der Welt der Träume zuwendet.
Ganz so einfach macht es uns Lovecraft jedoch nicht mit allen seinen Kreaturen und Kreationen. Nyartlathotep etwa, der in der „Dream-Quest…“ eine zentrale Rolle spielt (hierzu später mehr), setzt sich zwar unter anderem aus dem Namen des ägyptischen Gottes Thoth, der in etwa dem griechischen Hermes entspricht, und der markanten ägyptischen Endsilbe -tep, vor allem bekannt durch den historisch diffusen, genialen ägyptischen Priester, Architekten und Universalgelehrten Imhotep, zusammen. Die ersten beiden Silben erweisen sich jedoch als sperriger und haben vermutlich lediglich den Wert einer Art gutturalen Verneinung, Negation, Wendung ins Gegenteil, denn Nyarlathotep ist ein teuflischer Trickster, eine Art Mephistopheles, Seelenführer und -verführer in Personalunion. Gutturale Sprachsegmente und Lautmalereien tauchen in Lovecrafts Wortschöpfungen immer wieder auf (vor allem in kultischen Beschwörungsformeln) und dienen wohl dazu einen Eindruck von bedrohlicher Primitivität und Kulturferne zu erzeugen. Ein anderes Beispiel könnte der Berg Ngranek aus der „Dream-Quest…“ sein, der vielleicht einfach nur ein genuschelter „großer Hals“ („grand Neck“) sein soll. Denn die Funktion dieses Bergs ist es das Abbild des Antlitzes eines der Götter zu tragen (wozu Lovecraft vermutlich durch Nathaniel Hawthornes Erzählung „The Ice Idol“, verschiedentlich auch als „The Great Stone Face” oder “The Snow Idol” erschienen, inspiriert wurde).
Der Schlaf des Erwachens
Die „Dream-Quest…“ ist ein Initiationsroman. Randolph Carter, eine Art Gralssucher, ist auf der sehnsüchtigen Suche nach einem über alle Maßen wunderschönen Ort, den er in seinen Träumen gesehen hat und nun nicht mehr finden kann. Auf seiner Suche danach, auf der er allerlei finsteren Kreaturen und Gestalten begegnet – Verkörperungen seiner Ängste – vor denen er sich in Acht nehmen muss, mit denen er sich aber nicht selten auch arrangiert, Händel oder gar so was wie Freundschaft schließt (ein Novum in Lovecrafts Werk), erhält er den Rat die Götter danach zu fragen, die hoch oben im zyklopischen Palast Kadath wohnen, der auf der verwunschenen Hochebene von Leng steht und bis hinauf in das Weltall ragt. Die genaue geographische Position dieser Hochebene, die in mehreren Erzählungen Lovecrafts eine Rolle spielt, ist nicht klar festzumachen. Mal soll sie im tibetischen Himalaja liegen, mal in der Antarktis, mal außerhalb der wirklichen Welt, im Reich der Träume. Und das ist nicht etwa aus Planlosigkeit so angelegt.
Der Kadath ist also der Palast oder die Festung der alten Götter, die diese jedoch verlassen haben um in Carters wunderbarer Stadt der Träume zu leben. Es ist ein Turm aus reinem Onyx und von unermesslicher Höhe. Dreh- und Angelpunkt des Herrschaftsbereichs der alten Götter, ebenso wie der von Lovecrafts Erzählung (vielleicht so etwas wie eine Gestalt und Sinnbild gewordene Erdachse?). Sein Name Kadath setzt sich aus den altägyptischen Begriffen ka und dath bzw. duat zusammen. Das Ka ist die unsterbliche Seele, die unabhängig vom Körper auch nach dem Tode weiter existiert. Duat wiederum ist das ägyptische Totenreich, das unterirdisch gedacht wurde und in dem das Ka nach dem Tode fortbesteht. So entspricht Randolph Carters Reise zum Kadath in etwa der klassischen mythologischen Höllenfahrt, wie sie auch Orpheus, Christus und andere mythologische Figuren unternommen haben sollen. Ein reinigender Abstieg in die tiefsten Tiefen des Selbst. Genau genommen ist es der zweite der Geschichte, denn Carter stieg zuvor bereits in die gigantische Höhlenwelt der Gugs und Ghasts hinab. Dieser zweite Abstieg jedoch wird als in vielerlei Hinsicht schwindelerregender Höhenflug dargestellt. Ein Sturz in eine überirdische Unterwelt. Einen Himmel gibt es bei Lovecraft nicht. Sein Paradies war der leider auf immer verlorene und unerreichbare Seelenzustand seiner behüteten Kindheit.
In den Hallen des Kadath begegnet Carter, in der wohl zentralen Schlüsselszene der Erzählung, Nyarlathotep, einer merkurischen (oder hermetischen) Götter- und Dämonenfigur, die in vielen Lovecraft-Erzählungen Erwähnung findet, in denen sie jedoch auf sehr unterschiedliche Weisen in Erscheinung tritt. So ist in einigen Erzählungen von ihm als „das kriechende Chaos“ („the crawling chaos“) die Rede, ohne dass seine Gestalt näher beschrieben würde. In „The Dreams in the Witchhouse“ wird er als großer, kahlköpfiger Mann mit pechschwarzer Haut und Hufen beschrieben. In „Haunter of the Dark“ tritt er als riesiges, fledermausflügliges Ding mit dreilidrigem Auge auf, das in einer verwunschenen alten Kirche in Providence sein Unwesen treibt und zum Leuchtenden Trapezoeder, einem fluchbeladenen Stein in Form einer geköpften Pyramide, in Beziehung steht, deren Kopf wohl Nyarlathotep als Verkörperung des Allsehenden Auges (bekannt etwa von der Dollar-Note) darstellt (hier spielt offenbar die Zahl 3, für Dreifaltigkeit, eine bedeutende Rolle, zumal wie gesagt eine alte, verfallene Kirche den Schauplatz der Erzählung bildet und auffälligerweise ständig von Italienern und Iren, also vermutlich Katholiken, die Rede ist – aus Roman Polanskis „Rosemarie‘s Baby“ wissen wir ja, dass man Katholik sein muss um den Satan anbeten zu können). In der „Dream-Quest…“ wiederum erscheint er als schwarzer Pharao, ein majestätischer, hochgewachsener, sehniger, in prunkvolle Roben gewandeter Mann mit dunkler Hautfarbe. Er fungiert hier als Statthalter und Bote der Götter, zugleich aber als einer von ihnen. Und seinen Botschaften ist nicht zu trauen. Denn er ist ein Trickster wie der germanische Loki, Goethes Mephistopheles, Luzifer oder der Pan oder Faun aus Guillermo Del Torros wunderbarem Film „El laberinto del fauno“ (deutsch „Pans Labyrinth“).
Das Auge sieht mit
Ich habe den Kadath als einen Turm dargestellt, dessen Strebepfeiler und Spitzbögen an die gotische Architektur erinnern sollen (siehe Bild 1) der auch die Gothic Novel ihren Namen verdankt. Lovecraft war in all seiner Originalität ein literarischer Erbe und Erneuerer dieser literarischen Stilepoche und ihrer Epigonen, auf die er sich auch auffallend oft bezog und aus der er zitierte. Man denke nur an seine Variation des Frankenstein-Themas in „Herbert West – Reanimator“, die Anspielungen auf „Dorian Gray“, „Dracula“ und wiederum „Frankenstein“ in „The Case of Charles Dexter Ward“ oder seine Variante von Poes „The Fall of the House of Usher“ in „Rats in the Walls“, sowie die weitläufige Anlehnung seines dystopischen Kurzromans „At the Mountains of Madness“ an Poes „The Narrative of Arthur Gordon Pym from Nantucket“. Die „Dream-Quest…“ wiederum weist auffallende Parallelen zu William Beckfords „Vathek“ auf, einer Erzählung die im Orient spielt, was wiederum ganz gut mit der gotischen Architektur meines Kadath harmoniert, da die gotische Architektur stark von der arabischen beeinflusst war („Arabesken“).
Ferner habe ich mich bemüht, dem Tor, durch das Carter den Kadath nach seinem deliriösen Sturz vom Rücken des Shantak betritt, die Anmutung eines dämonischen Gesichts zu geben, das beunruhigend hungrig und irgendwie augenlos sehend wirken sollte, denn als blind und taub, aber unentrinnbar und alles verschlingend werden die Götter charakterisiert, die diesen Turm einst bewohnten.
Die Gesamthandlung habe ich im Cover-Motiv grob als einen Strudel zusammengefasst, wobei ich mich vor allem auf den Sturz Carters nach dem Ritt auf dem Shantak bezog, der auf den zentralen Wendepunkt der Erzählung hinführt (siehe Bild 3 und die Endversion). Einen Strudel aus dem Schatten ins Licht und wieder ins Dunkel. Innerhalb des Strudels habe ich allerhand Kreaturen angedeutet, denen Carter im Laufe seiner Suche begegnet. Wobei ich mich allerdings nicht sehr an die Beschreibungen aus dem Buch gehalten habe, zumal einige der dort vorkommenden Wesen visuell faktisch undarstellbar oder nicht sinnvoll darstellbar sind (Dhole etwa erscheinen nur als ein unheimliches Geräusch in der Dunkelheit, ähnlich auch die Zoogs). Lovecraft überließ sie ganz den Abgründen unserer Vorstellungskraft. Als Darsteller für Carter habe ich Lovecraft selbst gewählt, quasi eine Art Cameo, was, denke ich, nahe liegt, geht es doch um eine Suche nach sich selbst. Und das Gesicht Lovecrafts ziert auch den Ngranek (siehe Bild 1) und bildet auch den Bildhintergrund, in einer Überblendung mit der Skyline Bostons, der Stadt in der Randolph Carter seine Kindheit verbrachte. Die beschatteten Stellen des Gesichts stellen das Dunkel dar in dem die sinisteren Kreaturen hausen, während die lichten Stellen von den lichteren Gestalten, hier den Katzen, bewohnt werden. Im Abschluss des Strudels verwandeln sich all diese Protagonisten in die Gestalt Carters, weil sie alle nur Aspekte seiner selbst, seiner Ängste und Sehnsüchte sind. Und schließlich stürzt Carter in sein eigenes Auge, das das Tor zu seinem innersten Selbst repräsentiert. Hier erwartet ihn der Kadath, und mit ihm der Schlüssel zur Erkenntnis.
Vom Suchen und Scheitern
Mein ursprünglicher Plan war es, die dunklen Schattierungen des Bildes durch Typografie zu erzeugen, wofür ich ausgewählte Zitate aus dem Buch in verschiedenen Schriftgrößen und -typen auf mehreren Ebenen übereinander legen wollte. Das von Hand zu erreichen erwies sich jedoch als extrem aufwendig und schwierig, wenn nicht gar nahezu unlösbar (mit der heutigen digitalen Technik wäre es hingegen kein großes Problem). Auch Experimente mit Schablonen und Maskierfolie brachten leider nicht das anvisierte Ergebnis. Ich entschied mich daher damals für eine Technik, die ich zuvor noch nie verwendet hatte. Eine Mischtechnik. Zunächst mit Acrylfarbe auf Airbrush-Karton, die teils mit der Airbrush, teils mit dem Pinsel aufgetragen wurde, für die Farbigkeit des Bildes. Danach übermalte ich das Ganze lasierend mit schwarzer Alkydharz-Ölfarbe für die Helligkeitsabstufungen in den dunklen Bereichen. Im weitesten Sinne ähnlich wie beim Tuschen einer Zeichnung. Meine Pläne mit der typographischen Gestaltung blieben dabei jedoch letztlich weitgehend auf der Strecke.
Ähnlich schief lief es dann leider auch mit der technischen Umsetzung des Covers im Druck, das aufgrund seiner Größe ein dünneres Papier oder eine geräumigere Hülle gebraucht hätte um unverletzt aus und wieder eingepackt werden zu können. Aber eine Suche ist eben auch immer ein Lernprozess, und je weiter man sich aus dem Fenster lehnt, desto leichter fällt man. Aus künstlerischer Sicht könnte man allerdings auch sagen, dass der heile, jungfräuliche Zustand des Covers direkt nach dem Kauf eine vollkommene Entsprechung zu Carters Kindheit darstellt, und alles Haare raufen und Trachten das Cover vor der Auflösung zu bewahren repräsentiert die vergebliche Suche nach diesem Urzustand. Verdammt, ich bin genialer als ich dachte!
Nachbemerkungen
Lovecraft war sowohl ein sehr ambivalenter Autor, wie auch eine hoch ambivalente Persönlichkeit. Er eignet sich sicher nicht als Idol. Dennoch halte ich ihn für ein sehr bemerkenswertes Phänomen. Sein literarisches Werk, das immerhin für Pulps geschrieben wurde, war von schwankender inhaltlicher und formaler Qualität, teils sogar innerhalb der jeweiligen Erzählungen. Oft glänzt es durch einen geradezu überwältigenden Beziehungs- und Erfindungsreichtum und zeugt von einer enormen Belesenheit und Bildung. Manchmal ist davon jedoch nicht viel zu merken und es zeichnet sich lediglich durch einen Hang zu schaurigen Effekten und inflationärem Gebrauch von Superlativen und Adjektiven aus. Auch über Lovecrafts, in seinen Notizbüchern niedergelegten theoretischen Überlegungen über das Schreiben fantastischer und unheimlicher Geschichten, die sich in seinen Erzählungen widerspiegeln, kann man sehr geteilter Meinung sein. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass er einer der bis heute einflussreichsten und stilprägendsten Autoren der fantastischen, Horror- und Science-Fiction-Literatur war und ist. Bis hin übrigens zur präastronautischen (zu deren Begründern man ihn wohl zählen kann) und Verschwörungsliteratur, die sich in der heutigen Zeit vor allem im rechtskonservativen Lager großer Beliebtheit erfreuen. Für Lovecraft war das aber pure Spielerei und Effekt, wie ebenfalls seine Notizen belegen.
In Lovecrafts Erzählungen und mehr noch seinen umfangreichen Korrespondenzen mit anderen Autoren ist jedoch erkennbar, dass er, zumindest über lange Phasen seines Lebens, ein geradezu manischer Rassist und Antisemit war. In einem Brief aus seiner New Yorker Zeit etwa beschrieb er sehr bildhaft seine Eindrücke von der New Yorker Lower Eastside, und es wird deutlich, dass das dort herrschende Völkergemisch und die Hochhausarchitektur als Vorbilder für die unsäglichen Kulten nachhängenden Mischrassen und die zyklopische Architektur seiner Erzählungen dienten (siehe z.B. „Call of Cthulhu“). Dennoch soll er als Kind ein afroamerikanisches Kindermädchen gehabt haben, das er abgöttisch geliebt haben soll, und die einzige weitere Frau in seinem Leben, neben seiner Mutter und seinen Tanten, war seine Frau Sonia Greene, eine Jüdin. Auch dem jungen jüdischen Autor Robert Bloch, der später mit Romanen und Erzählungen wie „Psycho“ (1959, verfilmt von Alfred Hitchcock) und „Twilight Zone“ Berühmtheit erlangte, war er ein väterlicher Freund und Mentor. Bloch widmete ihm posthum einen seiner Romane, „Strange Eons“ (1979), der an Lovecrafts Cthulhu-Mythos anschließt. Vielleicht ist die „Dream-Quest…“ Ausdruck dieser inneren Zerrissenheit, denn anders als in seinen früheren Erzählungen tritt der Protagonist hier vielen der Monstren („Monster“ kommt übrigens von lateinisch „Monstrum“, was so viel wie „Zeichen“ oder „Wunderzeichen“ bedeutet) weitaus moderater und kooperativer gegenüber, wenn er seine Abscheu auch nie so ganz überwinden kann. Und „The Dunwich Horror“, eine Kurzgeschichte, die rund ein Jahr nach der „Dream-Quest…“ entstand, behandelt neben Fällen der für Lovecrafts Erzählungen typischen Sodomie zwischen Menschen und Meeres-Dämonen auch eklatante Fälle von dörflichem Inzest. Und so ist überliefert, dass der späte Lovecraft auch privat moderater und umgänglicher gewesen sei als in seinen jungen Jahren.
Lovecraft war offenbar ein Mensch, der seinen Platz in der Welt niemals gefunden hat und dessen Suche danach eine von Ängsten und Depressionen bestimmte Irrfahrt am Rande des wirtschaftlichen Ruins war. Belastet durch die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen er aufwuchs, und eine vermutlich reaktionär-konservative Erziehung startete er mit einer Hypothek in sein Leben, die er trotz seiner außergewöhnlichen Begabungen nie tilgen konnte.
Dream Questionmark, von Michael Bähre, 2017