THE END OF MUSIC 2017
Festival of dark and heavy sounds, 9. und 10. Juni, Karlstorbahnhof Heidelberg
Das ‘The End Of Music’ ist ein (noch) kleines, aber ausgesucht feines und vor allem sehr ambitioniertes DIY-Festival düsterer, verstörender und harter Klänge weit abseits des Mainstreams, das seine Premiere zur Sommersonnenwende 2016 im Heidelberger Karlstorbahnhof feiern konnte, damals unter anderem mit Bands wie MANTAR, AHAB und BLACK SHAPE OF NEXUS. Die enorm engagierten Organisatoren Chris, Daniel und Johannes – allesamt selbst Musiker und mit ihren Bands VOID OBELISK bzw. STAGWOUNDER auch bei den Festivals live zu erleben – haben in diesem Jahr ein weiteres Mal keine Kosten und noch weniger Mühen gescheut, ein abwechslungsreiches und in seiner musikalischen Vielfalt hochspannendes Programm aktueller abseitiger Sounds zusammenzustellen.
Hier wird europäischen Untergrundbands, die bereits internationales Renommee genießen, sowie hoffnungsvollen Youngsters vorwiegend aus dem Südwesten der Republik eine Bühne geboten, wobei der Stilmix alles in der dunklen Zone zwischen Hardcore über Sludge/Doom, Electro, Ambient bis Black Metal abdeckt. Die einzige Klammer, die alle Beteiligten eint, ist eine offene, unvoreingenommene Herangehensweise an ihre Musik sowie der unbedingte Wille, Genregrenzen hinter sich zu lassen und klangliches Neuland zu erschließen, und damit in diejenigen Gefilde vorzustoßen, die man heutzutage gerne mit dem etwas unglücklichen Attribut “Post-” belegt, die entgegen der direkten Übersetzung jedoch nichts sind, was abschließend aus oder vielmehr nach einem etablierten Stil entsteht – denn das wäre dann tatsächlich „the end of music“. Stattdessen werden dessen typische sowie komplett genrefremde Mittel ergriffen, um sich von jeglichen Vorgaben zu befreien, radikal neue musikalische Möglichkeiten auszuprobieren und sich in der künstlerische Reichweite über den bisherigen Horizont hinaus auszudehnen. Oder wie die Veranstalter selbst sagen: “Das THE END OF MUSIC-Festival wendet sich an alle Liebhaber basslastiger Frequenzen, brachialer Lautstärke, dichter und gemeiner Klanggebilde und einnehmender, musikalischer Atmosphäre”, und für solche wird hier so einiges geboten – und das zum allerfairsten Preis.
Die tolle Location im Heidelberger Karlstorbahnhof (http://karlstorbahnhof.de) mit seiner einzigartigen Lage zwischen Bergen und Fluss tut ein übriges dazu, sich hier wohlzufühlen; abgerundet wird das Ganze durch ein hochwertiges Rahmenprogramm mit einer Kunstausstellung, in diesem Jahr des speziell zu diesem Anlass gegründeten Künstlerinnen-Kollektivs ‘Dunkelbund’, sowie diversen Merch- und Distro-Ständen, und last but not least verwöhnt die Mannschaft der Mannheimer ‘Kombüse’ (http://kombuese-ma.de) hungrige Metaller mit feinster vegan/vegetarischer Küche – auch hier ist also ein Blick über den Tellerrand möglich.
Wer wollte, konnte sich bereits ein paar Wochen zuvor beim “The Beginning of the End of Music” mit STAGWOUNDER, COBALT und ORANSSI PAZUZU auf das eigentliche Festival einstimmen, und wer nach einem Tag voller extremer Musik noch nicht genug hatte, für den gab es oberdrauf noch feine After-Show-Parties. Nun jedoch mitten hinein in die zwei Feiertage extremer Klänge!
Freitag, 09.06.2017
Nachdem die Freitags-Headliner OBSCURE SPHINX einen Tag zuvor wegen eines Transporterschadens absagen mussten, setzen die TEOM-Macher sofort alle Hebel in Bewegung, einen Ersatz zu finden. Die Karlsruher WITCHFUCKER, deren Drummer Hubu sowieso ein 2-Tages-Ticket für´s Festival hatte, springen superspontan in die entstandene Lücke – und füllen diese grandios. Die seit unserer letzten Begegnung zum Trio (gesund-?)geschrumpfte Band groovt sich tief in ein begeisterndes Set intensivsten superheavy blackened Doom/Sludge Metals mit dem Charakter einer Jamsession, bei der Musiker wie Zuhörer Zeit und Raum um sich vergessen. Die Berg-Brüder stehen sich, oft mit Blickkontakt, gegenüber und spielen im positivsten Sinne genauso viel für sich selbst wie für die Meute vor der Bühne. Und auch ein notwendiger Saitentausch bringt die tiefenentspannten Jungs keineswegs aus ihrer Ruhe. Was für ein Einstieg! Für mich der Headliner der Herzen des ersten TEOM-Abends, man hätte sie genauso gut doppelt so lange lärmen lassen können. Chapeau!
Nach der Umbaupause stehen bzw. sitzen bei VOID OBELISK dann mit Basser/Keyboarder Daniel und Drummer Chris zwei der Organisatoren mit auf der Bühne des Karlstorbahnhofs, und wer die Band nicht bereits kannte, bekommt nun eine Ahnung davon, was Scheuklappenfreiheit, Spieltrieb und Innovationslust mit Musikern machen können. Noise wird das derjenige nennen, der von der Ideenfülle überfordert ist, wer sich jedoch offen auf diese Reise durch die Nacht und in eher abseitige Doom-Gefilde (Slugde-Noise-Elecdrone nennt es die Band selbst) einlässt, kann viel Spaß mit den Mannheimer Casio-Addicts haben, die uns mit Stoff ihres Debüts ´A Journey Through The 12 Hours Of The Night´ plus zwei brandneuen Songs verwöhnen. Sänger Flix windet sich in Veitstanzmanier am Bühnenrand oder mitten im Publikum, und bringt dabei trotzdem noch beeindruckend intensiv seine Vocals unter die entrückte Zuhörerschaft. Ebenso gewaltig agieren Saiteninstrumente und Schlagzeug. Hier wird Zeit gedehnt, werden Instrumente zu Versuchsanordnungen, jeder Musiker erforscht tiefgehend die Möglichkeiten des diversen auf der Bühne vorhandenen im weitesten Sinne tonerzeugenden Instrumentariums und der üppigen Effektgeräte, und erst beim abschließenden Weckerklingeln tauchen wir wieder im Wachzustand auf. Mehr davon!
Für die Tiefschwarzmetaller WIEGEDOOD aus Gent ist damit nun der Headlinerplatz am ersten Abend frei geworden, aber die introvertierten Belgier tun sich anfangs doch ein bisschen schwer, diesen auch wirklich auszufüllen. Das All-Star-Trio (Mitglieder von u.a. AMENRA und OATHBREAKER) mit den zwei Gitarren steigt mit ´Svanesang´ vom Erstling ´De ´Doden Hebben Het Goed´ ein und baut allmählich seine flirrenden, bei Hochgeschwindigkeit verzweifelt drängend-dräuenden Riffwälle auf. Hier und heute wird jedoch auch sehr viel Gewicht auf Atmosphäre und Stimmung gelegt, der Sound kommt erstaunlich doomig rüber, und je weiter der Auftritt fortschreitet, desto mehr spielt sich auch zwischen Band und Gästen ab. Wim Coppers´ KALASHNIKOV-Shirt zeigt, wo der OATHBREAKER-Drummer den Hammer holt, und sein fast schon strahlendes Grinsen überträgt sich auf die Zuschauer, die irgendwann beginnen, auf dem Groove der galligsten Black Metal-Welle, die momentan über Mitteleuropa rollt, geradezu zu surfen. Noch ein dunkles Bierchen und man geht gut gelaunt nach Hause!
Samstag, 10.06.2017
WRECK aus Landau fielen, zumindest was mich betrifft, der Sommerhitze und dem sehr frühen Start am Samstag zum Opfer, ich schaffte es gerade knapp zurück zu HESTER. Dafür werde ich mit einem für mich kurzen, aber hochintensiven Gig belohnt, bei dem vor allem Frontfrau Caro ihr Innerstes nach außen kehrt und sehr EMO-tional das hochprozentige Gemisch aus Screamo/Hardcore und schwarz angehauchtem Indierock präsentiert. Die Karlsruher gibt´s es zwar erst seit 2 Jahren, mit ihrer souverän eigenständigen Darbietung haben sie sich aber ganz offensichtlich schon eine feste Fanbase erspielt, die heute sicherlich noch angewachsen ist.
Auf MORIBUND MANTRAS aus der Landeshauptstadt hatte ich mich besonders gefreut. Leider konnten die Stuttgarter die in sie gesetzten Erwartungen nicht rundum erfüllen, was sich leider auch in der Publikumsreaktion zeigte, der Saal leerte sich im Laufe ihres Auftritts doch gravierend. Sehr schade, haben sie doch packende, ausgefeilte Songs zwischen Doom, Black Metal und Shoegaze im Gepäck, die die Zuhörer in ein boden-, jedoch dank fast epischer Gitten-Melodik nicht hoffnungsloses Wechselbad der Gefühle werfen. Besonders die Rhythmusfraktion kann mich absolut überzeugen (tolle Schlagzeugerin und hammer Bassist), am Gesang jedoch scheiden sich die Geister – er ist, offen gesagt, vor allem live die Achillesferse im Bandorganismus. Wenn die Stuttgarter hier noch dran drehen, sehe ich eine große Zukunft, denn songschreiberisches Potential ist allemal genug da.
FARCE ist eine One-Woman-Electro-Noise-Drone-Show aus Wien, also zugegebenermaßen nicht so ganz mein Ding. Dass ich mir dennoch fast die komplette Show von Veronika J. König anschaue, sagt dann schon einiges – diese Frau steht allein mit Laptop und Mikro auf der allein testbildartig videobeleuchteten Bühne und zieht mit ihren langsamen Minimal-Loops, verfremdeten ambientartigen Sounds und vor allem ihrem ätherischen Gesang in den Bann. Das findet auch hier absolut seine Fans, ich gehe jetzt jedoch nochmal schnell meine Reserven an Flüssigkeit und Sauerstoff auffüllen, denn der Höhepunkt des Festivals steht kurz bevor.
Schon am hohen Füllungsgrad des Saals kann man erkennen, dass die meisten Besucher heute wegen der Schweizer Avantgarde Black Metal-Atmosphäriker SCHAMMASCH hier sind. Kein Wunder, werden wir doch gleich Zeugen der Uraufführung ihres neuesten Werks ´The Maldoror Chants – Hermaphrodite´ nach Lautréamonts gleichnamigem Buch (Review siehe hier).
Die Bühne ist während des ganzen Sets fast nur von Kerzen beleuchtet und in rot getaucht, als Bandkopf Chris S.R. zuerst verhalten, dann immer kräftiger beginnt, die beiden Standtoms vor ihm zur hypnotischen Klangcollage aus Stimmen und maschinenhaft-verfremdeten Tonfolgen zu bearbeiten – und damit beginnt für alle Anwesenden eine gemeinschaftliche Reise in ihr jeweiliges Innerstes. Niemand kann sich dem magischen Sog entziehen, die Spannung im Raum ist mit Händen greifbar und verursacht eine andauernde Gänsehaut, hier spricht niemand außer Chris, keiner bewegt sich oder verlässt gar den Saal, sondern erlebt durch die sich stetig bis hin zur Trance steigernde, stark perkussive und elektr(on)isch aufgeladene Musik intensiv widerstreitende Gefühle von Faszination, Verstörung, Ausgeliefertsein, Erhabenheit, Trauer, Zorn, und ja, spätestens ab ´These Tresses Are Sacred´, von vollkommener Schönheit und Harmonie, von Erlösung. Der für SCHAMMASCH so typische Furor von Schlagzeug und Gitarren führt in ´Chimerical Hope´ zur wütenden Klimax, und das abschließende, mantrahafte gechantete ´Do Not Open Your Eyes´ bringt uns ganz langsam wieder auf den Boden zurück. Es ist ein karthagisches Erlebnis, das die Band uns hiermit beschert, jenseits von Zeit und Raum tauchen wir tief in die Geschichte des Hermaphroditen ein, und schließlich verändert wieder aus ihr auf.
Als nach einer halben Stunde die letzten Töne langsam verklingen, herrscht einige Augenblicke absolute Stille – wie bei einem klassischen Konzert setzt erst nach einer mentalen Verarbeitungspause dann ein frenetischer Jubel ein, der kaum ein Ende nehmen will. Es war dies eine von zwei Gelegenheiten, die neue EP in Vollständigkeit live zu erleben, und tatsächlich eine Gnade, dabei gewesen zu sein.
Natürlich spielt der Headliner danach noch weiter, auch wenn es fast wie Blasphemie anmutet, den Bann dadurch endgültig zu brechen. Doch es ist ihnen überdeutlich anzumerken – von Chris und seinen Mannen ist eine enorme Last abgefallen, spielen sie nun völlig befreit und vor allem glückselig strahlend auf. Mit einem Programm vor allem aus ´Triangle´-Stücken bringen die Basler uns zurück ins Leben, heraus sticht hier vor allem ´Above The Stars Of God´ mit seinem grandiosen, DAVID GILMOUResken Solopart. Der ab sofort ständig als dritter Gitarrist fungierende John B. macht den Sound noch verspielter, druckvoller und dynamischer, jetzt erst wird deutlich, wie gut der Sound im KTB abgemischt ist – einfach nur zum Schwelgen und sich verlieren.
Irgendwann ist jedoch auch jedes noch so intensive Konzert zu Ende, doch niemand will die Band einfach gehen lassen, der Applaus und die Rufe nehmen kein Ende, und so spielen die kuttentragenden Eidgenossen ihre allererste Zugabe in den sieben Jahren seit Bandbestehen: ein würdiges ´Black But Shining´ vom Erstling ´Sic Luceat Lux´, und ich glaube, es gab sogar noch weitere Zugaben, aber ich war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr intellektuell anwesend, nur noch emotional. Eine Life Changing Concert-Erfahrung – unvergesslich. Danke an alle, die dies möglich gemacht haben!
Fazit: das TEOM 2017 hat uns mehr als einmal in Trance versetzt sowie durch und durch beglückt. Es war eine Ganzkörpererfahrung der allerfeinsten Art, und ich kann nicht anders als mich schon gigantisch auf die 2018er Ausgabe zu freuen und dabei zu hoffen, dass am rundum perfekten Konzept auch rein gar nix verändert wird! Einzig die Zahl der Besucher könnte, nein muss, größer werden – daher: tiefgestimmte Soundgourmets aus aller Welt, kommt in Scharen in meine Heimatstadt und lasst Euch diese Festivalperle nicht entgehen!
https://www.facebook.com/endofmusicfest/
06.10.17
Von: U.Violet