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DIE TOTEN HOSEN – Laune der Natur

~ 2017 (JKP) – Stil: Rock ~


Ein überraschend starkes Alterswerk präsentieren die TOTEN HOSEN ihrer, nach dem Massen-Hit ´Tage wie diese´ inflationär gestiegenen Fanschar, so dass das Wagnis, dieses Werk in seiner Luxus-Version mit Vinyl und Silberlingen, Poster, Button und Aufklebern anzuschaffen, nicht bereut werden muss.

Obwohl weiterhin massenkompatible Mitsingrufe adrenalin-geschwängert ausgeschüttet werden, packen die Herren hart rockende und metallene Riffs aus der tiefhängenden Gesäßtasche und wüten bisweilen wie ein Orkan (´Urknall´) über ihre neuhinzugekommenen Radiohörer hinweg. Vollkommen egal, ob dann ein fantastisch guter Dub- (´Wannsee´) oder ein Reggae-Rhythmus (´Laune der Natur´) – das durften auch CLASH mit ´White Man In Hammersmith Palais´, ´Guns Of Brixton´ und vielen mehr – sowie eine balladeske Nummer (´Alles passiert´) und eine mit Western-Flair (´Die Schöne und das Biest´) diesen geschuldet sein mögen, überzeugen können sie alle.

Wut, Trauer und Wehmut bestimmen allerdings die ´Laune der Natur´. Deshalb kreist alles um das akute Seelenleben der TOTEN HOSEN, um ihre Heimat, weiterhin um Düsseldorf. Allein sie machen kehrt, geben fiktiv ihre Goldenen Schallplatten zurück, möchten anscheinend ihr altes Leben wieder haben, selbst wenn der letzte Weg auf Erden im Zug beschritten werden sollte (´ICE nach Düsseldorf´).

Also alles auf Anfang, im Zeitraffer, ohne Groupies, blicken sie mit einem neuen Thekenlied auf die Jahrestage im Proberaum zurück (´Wie viele Jahre (Hasta la Muerte)´), behalten gleichwohl alle Erlebnisse in ihren Herzen (´Alles mit nach Hause´), natürlich auch die verflossene Liebe (´Die Schöne und das Biest´) und vornehmlich ein ersehntes Wiedersehen (´Wannsee´). Früher verschwendeten sie die Zeit mit Schnaps und LSD, heute steht die Frage nach der noch vorhandenen Energie im Vordergrund (´Energie`). So fliegen sie nicht wie einst der Mey über den Wolken, sondern bedauern das Verschwinden der Freiheit hier unten, unter diesen (´Unter den Wolken´), und frustherausschreiend dies der Hasskommentare in unseren Zeiten (´Pop & Politik´).

Ihrem verstorbenen Manager Jochen Hülders widmen sie nicht nur einen Titel (´Eine Handvoll Erde´), dabei der nicht zu begreifenden Vergänglichkeit Aug in Aug gegenüber tretend, sondern die erste Zeile des Openers (´Urknall´). Am Ende erweisen sie ihrem ebenfalls entschlafenen Schlagzeuger Wolfgang Michael „Wölli“ Rohde, der von 1986 bis 1999 in der Band trommelte, mit der Neuaufnahme dessen Songs (´Kein Grund zur Traurigkeit´) die letzte Ehre und lassen auf dieser Wölli selber, mit dessen alter Gesangsaufnahme, frappierend brüchig wie Johnny Cash, singen.

Und was bleibt? Die Angst vor keinem Happyend, wenn die Musik aufhört und nichts mehr bleibt. Und zornige Songs wie ´Urknall´ und ´Pop & Politik´, viele nachdenkliche Lieder sowie die Gassenhauer ´Wannsee´, ´Unter den Wolken´, ´Laune der Natur´, ´Die Schöne und das Biest´ und ´Wie viele Jahre (Hasta la Muerte)´. Und das beste Werk seit einem Vierteljahrhundert.

(8,5 Punkte)

In der Spezial Edition und der Deluxe-Box erschien ´Laune der Natur´ zusammen mit ´Learning English Lesson 2´ (siehe hier).

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