STREETMARK – Eileen
1977 / 2017 (Sireena – Reissue) – Stil: Progressive / Krautrock
Die Zeitmaschine befördert uns diesmal zurück in eine Zeit, in der friedliche, glückliche Eloi kreativ in Düsseldorf mit neuen Sounds experimentierten – lange, bevor die Morlocks den Heavy Metal erfanden. Bereits 1968 hoben Dorothea Raukes (Keyboards) und Thomas Schreiber (Gitarre) das Wunderkind STREETMARK aus der Taufe, welches wuchs und gedieh und in seiner eigenständigen Form endlich 1975 mit ‘Nordland’ in das Licht des Vinyluniversums eintrat. Mit dem Einstieg von Manfred Knauff (Bass) und Wolfgang Riechmann (Gesang, Gitarre, Keyboards), der bereits mit zwei KRAFTWERK-Pionieren seinen Horizont als Elektrolurch erweitern konnte, bekam Thomas mit letzterem einen ebenbürtigen kreativen Kopf zur Seite, mit dem ein kompositorisches Hoch entstand, welches uns dieses zweite Album ‘Eileen’ bescherte.
Doch genug mit der Geschichtsstunde, was hier punktet, ist ein melodischer Meilenstein aus der Geburtsstadt der elektronischen, modernen Musik, welche auch Experimente hervorgebracht hat, die nur für eingefleischte Fans hörbar sind. Nicht so hier, denn mit dem Einstiegstrack ‘Crazy Notion’ bekommt der Ur-GENESIS Freak durch klassische Rhythmik, Orgel, Klavier und herrlicher Gitarre – das Ganze garniert mit feinem weiblichen Backgesang – bereits eine Breitseite, bevor das erste Instrumental ‘Passage’ nach ruhigem Anfang in bester NEU!-Manier mit einem Klaus Dinger’schen Motorik-Beat – der es später Bands wie ULTRAVOX erlaubt hat, treibende Hymnen zu kreieren – die urtypische Fahrt aufnimmt und gegen Ende in eine leidenschaftliche Drumorgie kulminiert. ‘Sea Of Melted Lead’ entpuppt sich als eine von Akustikgitarre und Epiksounds getragene, wunderschön melodische Komposition inklusive DOORS-Orgelsolo und elegischer Gitarre, bei deren Genuss ich die allgemeine Kritik an Wolfgangs Gesang nicht teilen kann, als Anhaltspunkt möchte ich Peter Hammill (VAN DER GRAAF GENERATOR) nennen, obgleich dessen charismatische Stimme natürlich unerreicht bleibt.
Nach dem kurzen, ruhigen, jedoch abgefahrenen Intermezzo ‘Tomorrow’ bietet das Titelstück erst mal Drama pur mit leicht anklagenden Vocals. Schlagzeugtechnisch zuckt man im Takt von MARILLIONs ‘Forgotten Sons’ und frönt einem erzählenden Keyboardintermezzo, welches auf das folgende, zweite Instrumental ‘Dreams’ vorbereitet. Nun ist es also in bester Krautrockstimmung an der Zeit, mit dem Raumschiff Orion auf Patrouille zu streifen und die sphärischen Weiten der ELOY-‘Floating’-Ära zu erkunden, deren Treibstoff die beruhigenden Basslinien und der hypnotische Rhythmus zu den wabernden Keyboardsounds und der improvisierenden Gitarre liefern. Jam ist angesagt, aber jener der mitreißenden Sorte, Schlagwerker Hans Schweiß hat damals seinem Namen wahrscheinlich erheblich Tribut gezollt. Den Abschluss bildet das ruhige ‘Choral’, bei dem nicht nur Freunde der ersten KING CRIMSON feucht laufen.
Sehr schön ist auf dem kompletten Album die stetige Abwechslung zwischen positiver und dramatischer Stimmung, in einer Dynamik, die nach Schallplatte schreit. Dies alles natürlich in dem Referenzsound von der zu früh gegangenen Produzentenlegende Conny Plank, der wie kein anderer die Musik dieser Zeit beeinflusst hat und durch seinen Ideenreichtum, Experimentiergeist und seiner menschlichen Art bei mehreren Bands dieser Epoche gar als zusätzliches Bandmitglied galt. Aufgrund der traurigen Gegebenheit, dass dieses Werk meines Wissens der einzige Langspieler ist, der zu Wolfgangs Lebzeiten auf den Markt kam (Er wurde vor der Veröffentlichung seines Magnum Opus WUNDERBAR in der Düsseldorfer Altstadt von einem Aggrodroog grundlos erstochen), bleibt mir die traurige Pflicht, als auch die Ehre, diesem Tondokument die einzige nachträgliche Auszeichnung zu verleihen, die dessen würdig ist: Klassiker.
Ab auf die Einkaufsliste, Tränen abgewischt …
Wer sich darüberhinaus für diese einzigartige Zeit des elektronischen Aufbruchs in der Rockmusik interessiert, dem sei folgendes Buch – bestehend aus Interviews und Erinnerungen von Musikern und Zeitzeugen – wärmstens ans Herz gelegt: Rüdiger Esch: Electri_City – Elektronische Musik aus Düsseldorf, aus dem Suhrkamp Verlag.
(10 sentimentale Punkte)