GROBSCHNITT – Razzia
~ 1982 (Metronome, Brain 60.510), 2015 (Brain, Universal Music) ~
“Lass’ doch endlich die Sau raus, unser bisschen Scheiß-Zeit ist bald um.”
Endlich, riefen die Einen, endlich ließen GROBSCHNITT anno 1982 ihren Kompositionen eine Aktualisierung zugutekommen. Mit Heavy-Gitarren, mit Elektronik im Sinne des Zeitgeistes und natürlich in Deutsch gesungen, ganz im Einklang mit der in Germany tobenden Neuen Deutschen Welle.
Grausam, grausam, fanden es dagegen nicht nur jahrelange Anhänger, blieb doch vom geliebten Space, Sinfonik und Prog Rock der 70er wenig übrig. Zudem klatschte der bandtypische Humor nun ungefiltert in deutscher Sprache dem Hörer ins Gesicht.
Alles völliger Unsinn, sagte die Band, die ´Razzia´ bis heute nicht als Schwenk in Richtung Neue Deutsche Welle ansieht, sondern als überfälliger Stilwechsel, der zudem durch die Trennung ihres langjährigen Keyboarders Mist forciert wurde.
Letztlich eliminiert tatsächlich jedes neu anbrechende Jahrzehnt regelmäßig die Musik des vorhergehenden. Und bereits der Punk und New Wave ließen den Prog Rock der 70er alt aussehen. Die NWoBHM und der Metal der 80er begruben das alte Jahrzehnt restlos hinter sich. International lieferten sich YES und GENESIS geradewegs der Popkultur aus, wie in deutschen Landen KRAAN, HÖLDERLIN, NOVALIS oder ANYONE´S DAUGHTER. Der Prog Rock sollte sich erst viel später wieder erholen. Nichtsdestoweniger standen GROBSCHNITT in 1982 geschlossen hinter ihrem Sound, dessen erfolgreiche Live-Umsetzung ihnen hernach zumindest auf diesem Sektor Recht geben sollte.
Dennoch kann selbst in der Nachbetrachtung die Feststellung getroffen werden, dass generell Liebhaber des Deutsch Rock und des damaligen musikalischen Zeitgeistes mit ´Razzia´ eine Freundschaft schließen können. Und die Einen, die GROBSCHNITT erst mit ihren deutschen Liedern richtig schätzen lernten, reden heutzutage bei ´Razzia´ von einem Klassiker. Einige Song-Klassiker hat das Werk immerhin abgeliefert. Zudem legte die Band in ihren Texten nochmals ihren Revoluzzer-Geist frei, entsteht sogar der Eindruck, es wäre immer noch 1968 und nicht 1982.
Den Songs an sich mangelt es keinesfalls an Ideen. ´Wir wollen sterben´ wird wie ein vom Pfarrer in der Kirche vorgetragener Choral gesungen. Der Text ist düster, die Aussage erst recht. Obgleich sich der Hörer natürlich unweigerlich in dem vielfältigen Sound, denn den einen gab es natürlich damals ebenso nicht, der Neuen Deutschen Welle wiederfindet. Auf dem Live-Sektor konnten ihnen damals nur PINK FLOYD und SPLIFF das Wasser reichen. Musikalisch waren GROBSCHNITT gegenüber ihren Konkurrenten ebenfalls ganz weit vorne, obgleich auch Parallelen zu SPLIFF gezogen werden können. Mit leichtem Missmut erwähnen sie freilich in ´Der alte Freund´ die Neue Deutsche Welle und die Gruppe IDEAL (“Die Neue Welle ist dein Ideal und blaue Augen sind jetzt in, was früher war ist dir total egal, du stehst auf Berlin“). Ein Schelm, wer an eine Verballhornung à la ´A.C.Y.M.´ denkt.
´Remscheid´ wuchtet dann harte Gitarreneinsätze ins Soundbett und kann sich textlich, wie natürlich auch ´Der alte Freund´, mit den coolsten Zeilen von EXTRABREIT messen, während der Titelsong zwar Keyboards einwirft, aber obendrein eine dermaßen harte Metal-Gitarre integriert. Das ist Deutsch Rock vom Feinsten, trotz finalem, sphärischen Prog Rock-Ausklang. Und im Gegensatz zur angesagten deutschen Musikwelle ist hier eine echte Band und dazu äußerst kraftvoll zu hören. ´Schweine im Weltall´ ist hingegen natürlich äußerst witzig und lag ehemals in aller Ohren. Als der Song mit der schönsten Melodieführung darf unbedingt der ´Poona Express´, mit seiner Bhagwan-Verehrung, und das abschließende ´Wir wollen leben´, ein Blümchen-Song mit Kinder-Chor, der musikalisch nicht gealtert ist und zum Protest-Song hochstilisiert wurde, nicht unerwähnt bleiben.
´Razzia´ setzt schließlich die Erkenntnis frei und macht deutlich, dass es sehr viel zu entdecken gibt. Das Universum ist zu groß, um sich einzuengen. Also geht auf Entdeckungsreise – mit diesem kleinen Juwel. Die Gefahr, sich zu verlieben, ist groß.
Das Werk befindet sich, wie alle enthaltenen CDs der 2015 veröffentlichten GROBSCHNITT-Box, in einem edlen Mintpack, einem dünnen Gatefold-artigen Digipack und hat als Bonus vor allem einen Alternativen Mix von ´Razzia´ mit Volker Mist an den Keyboards, eine ´Wir wollen sterben´-Extended-Version mit der ausführlichen Integrierung zum Liedende hin von ´Ihr Kinderlein, kommet´ sowie neben ´Live´-Intros Konzertmitschnitte von ´Razzia´, ´Poona Express´ und ´Wir wollen leben´ anzubieten, um so auf die anvisierte Gesamtlauflänge jeder CD der Box von 79:10 Minuten zu gelangen. [Weitere Informationen zur Box und gesamten Bandgeschichte befinden sich hier]
“So haben wir’s gewollt – so haben wir’s getan – so haben wir’s vollendet
zu schaffen unser eigen Ende …”
(8,5 Punkte)