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LEONARD COHEN – You Want It Darker

~ 2016 (Columbia/Sony) – Stil: Singer/Songwriter ~


Es hat den Anschein, als hätte Leonard Cohen sein Ende erwartet. Bevor er starb, sang er auf seinem letzten Album viele Zeilen ein, die auf eine solche Ahnung schließen lassen. Mit brüchiger Stimme, längst an Krebs leidend und gewohnt dunklem Timbre rief er kraftvoll gen Himmel: “Lord, I’m ready“. Manche Menschen spüren es, einige wissen es. Der neben Bob Dylan wohl bedeutendste Songwriter der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wusste es.

You want it darker, we kill the flame

Am 21. September 1934 in Montreal als Sohn litauischer Emigranten geboren, wuchs Leonard Cohen musikalisch mit Klavier und Klarinette, aber früh ohne Vater auf. Nach den ersten Gehversuchen als Dichter, soll ihm ein spanischer Musiker in Montreal, bevor dieser sich erhängte, ein Paar Gitarrengriffe beigebracht haben. Die Folksängerin Judy Collins musste ihn schließlich zu seinem ersten Auftritt am 30. April 1966 drängen. Jedoch nicht nur zu jener Zeit, sondern ebenso in den folgenden Jahrzehnten – in der Hippie-Bewegung, in Hardrock- und Punk-Zeiten – schien er in seinem Anzug fehl am Platze. Die weltweite Popularität erfasste ihn dann auch erst sehr spät mit ´Hallelujah´ oder ´First We Take Manhattan´. Dennoch zog sich Cohen alsbald zurück, als Mönch in ein buddhistisches Kloster. Als er zurückkehrte schien sein Ruhm weit größer als bisher zu erstrahlen.

I turned my back on the devil, turned my back on the angel too

Zuvor gab er sich zahlreichen Affären – von Marianne Ihlen, Joni Mitchell bis Janis Joplin – hin. Seiner langjährigen Muse Marianne, die er 1960 auf der griechischen Insel Hydra kennen lernte und ihr später ´So Long, Marianne´ widmete und ohne sie niemals ´Hey, That’s No Way To Say Goodbye´ sowie ´Bird On The Wire´ verfasst hätte, schrieb er zuletzt noch einen Brief, den diese auf dem eigenen Sterbebett liegend vorgelesen bekam.

If I ever loved you, it’s a crying shame, if I ever loved you, if I knew your name

Die letzten Monate verbrachte Cohen bei seiner Tochter in Los Angeles und kämpfte mit seiner Gesundheit. Also ließ ihn sein Sohn Adam die Lieder für sein letztes Werk einfach über ein auf dem Wohnzimmertisch stehendes Mikrofon einsingen. So hat Adam Cohen gleich das gesamte Werk produziert und es weit weniger pathetisch sowie überladen klingen lassen als zuvor Patrick Leonard. Voller Eindringlichkeit, wie die Stimme Johnny Cashs in dessen Spätwerk, steht die von Leonard Cohen ganz klar im Vordergrund. Emotionaleren und ergreifenderen, mit der letzten Kraft gesprochenen Gesang kann es nicht geben.

Unter geradezu sakraler Atmosphäre ruft er auf Hebräisch im Titelsong ´You Want It Darker´ seinen Lord an, hinterfragt die höhere Macht im mit seiner Klaviermelodie bezaubernden ´Treaty´, denkt in ´On The Level´ an seine Zeit als buddhistischer Mönch zurück und ist dem Ende in ´Leaving The Table´ bereits sehr nah. Doch selbst die Liebesnöte von ´If I Didn’t Have Your Love´ oder die musikalische Reise zurück auf die Insel Hydra mit ´Traveling Light´ lassen keinesfalls die mit der Teufelsvioline in ´Seemed The Better Way´ heraufbeschworene, geradezu bedrohliche Stimmung vergessen.

Say the Mea Culpa which, you’ve probably forgot, year by year, month by month, day by day, thought by thought

Als Cohen auf einer Pressekonferenz zur Veröffentlichung von ´You Want It Darker´ gefragt wurde, ob er denn aufgrund seiner Texte tatsächlich bereit sei zu sterben, antwortete er: “Da habe ich wohl übertrieben. Ich neigte schon immer zur Selbstinszenierung. Meine Absicht ist es, ewig zu leben.” Diesem gewagten Vorsatz konnte Leonard Cohen nicht mehr lange nachgehen, in der Nacht zum 7. November 2016 verstarb er in Los Angeles.

There’s nobody missing, meint Cohen.

(9 Punkte)

 

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