ARMORED SAINT
~ 2. August 2015, München, Backstage Halle ~
Man soll ja vorsichtig sein mit Superlativen. Gerade im gerne hyperventilierenden Musikgeschäft sind die „besten aller Zeiten“-Floskeln oft schneller widerlegt als ausgesprochen. Aber dann gibt es halt diese paar handverlesenen Kapellen wie RUSH, FATES WARNING, KING’S X oder ARMORED SAINT, die es bis heute geschafft haben, nicht zu ihren eigenen Coverbands zu verkommen. Sicher auch deshalb, weil ihnen der Erfolg beim Mainstream-Publikum über die Jahrzehnte größtenteils verwehrt blieb und der damit einhergehende Druck nicht die Inspirationsader abquetschte.
An diesem ersten Augustsonntag 2015 war mit erwähnten ARMORED SAINT eine der zweifellos legendärsten Metal-Livebands des Planeten zu Gast in München. Zum einzigen Headliner-Gig in Europa. Vor kundigem, textsicherem Publikum. Und dann auch noch mit einer Extraportion Motivation im Übersee-Gepäck, da an diesem Abend die erste offizielle Live-DVD der über 30-jährigen Bandgeschichte mitgeschnitten wurde.
Superlative gefällig?
Es geht nicht anders. Was John Bush, Joey Vera, Jeff Duncan und die Sandoval-Brüder Phil und „Gonzo“ beim Free and Easy-Festival im Backstage auf die Bühne zwirbelten, ist mit phänomenal noch zurückhaltend beschrieben. Songs von allen sieben Studioalben bildeten einen Set, mit dem die „Heiligen“ in dieser Klasse keine ernstzunehmende Konkurrenz (mehr) haben. Anders als bei vielen Zeitgenossen sind Neu und Alt bei „L.A.’s most headbanging band“ schlichte Zeitangaben, aber keinesfalls ein Qualitätsmerkmal. ‘An Exercise In Debauchery’ vom jüngsten Prachtalbum ‘Win Hands Down’ behauptete sich wunderbar zwischen den Klassikern ‘Last Train Home’ und ‘Raising Fear’. Gleiches gilt für ‘Mess’ und ‘Left Hook From Right Field’, zwei noch reifenden Weinen inmitten der Fabelpreis-Fässer namens ‘Dropping Like Flies’ und ‘Aftermath’.
Und wo andere Bands um die Fünfzig ihren Aktionsradius auf der Bühne langsam aber umso sicherer einschränken, gibt es bei ARMORED SAINT kein Zurückschalten. Bush singt, kreischt und schweißperlt, dass sein Handtuch bald ein nasser Lappen ist, Vera kreiselt fingerzupfend über die Bühne und zimmert mit Drummvieh Gonzo einen Mördergroove, der schon beim dritten Song ‘Nervous Man’ den ersten Rittern ihre Rüstungen, vulgo Bandshirts vom Leibe reißt. Und wer dazu noch ein ultralässiges, bis ins kleinste Detail perfekt aufeinander abgestimmtes Gitarren-Duo wie Duncan/Sandoval in seinen Reihen weiß, der muss sich auch vor heiklen Doppel-Leads wie im eröffenden ‘Win Hands Down’ oder im 1991er-Hit ‘Reign Of Fire’ nicht fürchten. Ja, da können selbst die BLACK STAR ‘Lizzy’ RIDERS einpacken. „Keep It Up!“, fordert Bush die Meute immer wieder auf. Und alles schreit mit. Eines ist sicher: Die Lautstärke der „AR-MORED SAINT!“-Schlachtrufe werden die Produzenten der Live-DVD sicher nicht hochregeln müssen.
Bei ‘Can U Deliver’ am Ende des regulären Sets regnet es sogar noch Geld. Roadies und Backstage-Mitarbeiter lassen Dollarnoten mit den Konterfeis der Band von der Empore segeln. Besitzer der Special-CD-Box der neuen Scheibe dürften die Blüten kennen, mancher Spaßvogel versucht danach sein Special-Evening-Bier damit zu bezahlen. Ach ja: Der Eintritt war frei, Stichwort „Free and Easy“. Aber mit schnödem Mammon wäre dieses – Achtung Superlativ! – Metal-Konzert des Jahres eh nicht zu bezahlen gewesen.
P.S.: SKULLWINX (Epic Speedmetal aus Tegernsee), die vor zwei Monaten an fast gleicher Stelle schon als Anheizer für EVIL INVADERS und SKULLFIST überzeugten, machten als Abend-Eröffner eine mehr als passable Figur. Auch die Stonerrocker MIDRIFF aus Kufstein (mit singendem Drummer) und die süddeutschen Classic-Metaller MYSTIC PROPHECY hielten den Stimmungspegel über Durchschnittsniveau. Warum die Band als Zugabe allerdings unbedingt ein Cover des SABBATH’schen ‘Paranoid’ spielen musste, bleibt das Geheimnis der Allgäuer. Vielleicht ist es ja auch nur ein Tribut an den einstigen Gitarristen Gus G, der seine Saiten seit nunmehr sechs Jahren für OZZY OSBOURNE dehnt…
Setlist ARMORED SAINT
Win Hands Down
March Of The Saint
Nervous Man
Pay Dirt
Last Train Home
An Exercise in Debauchery
Raising Fear
Dropping Like Flies
Mess
Left Hook From Right Field
Aftermath
Reign Of Fire
Can U Deliver
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Chemical Euphoria
Long Before I Die
Madhouse
Ein Interview mit den Herren war zuvor auf der kleinen Terrasse der Münchner Backstage-Halle ebenfalls möglich (Hier bitte anklicken).