THE HIRSCH EFFEKT – Holon : Agnosie
~ 2015 (Long Branch Records/SPV) – Stil: Art-Rock-Metal ~
Digitale Musik hört heutzutage bereits fast jeder, es geht schnell und fein, doch der Genießer ist das wahre Trüffelschwein. So auch beim neuen Werk der Hannoveraner THE HIRSCH EFFEKT, das nicht nur in Digitaler Form, sondern selbstverständlich als CD, farbige LP und für den Genießer in einer großformatigen Pappschachtel (300 Stück limitiert) inklusive Gatefold-LP (180g, transparent-natural), CD im Super Jewel Case, Jutebeutel, signiertem Poster, Tabs/Noten, Plektrum und Sticker erscheint. Da lacht das Herz des Sammlers.
THE HIRSCH EFFEKT existieren erst seit dem Jahr 2009 und haben bereits seit längerem ihren mehr als nur eigenständigen Sound und Stil gefunden. Zählt man die drei Split-LPs nicht mit, legen sie mit ´Holon : Agnosie´ nicht nur, nach ihrer Debüt-EP, ihr drittes Full-Length-Album in Folge vor, sondern schließen nunmehr auch die Holon-Trilogie ab. Nach Hiberno, Anamnesis folgt nun Agnosie. Und wie es der Titel bereits vorwegnimmt, dreht es sich um die Unwissenheit der Gesellschaft, deren Gefühl und Sinn, die aktuellen Geschehnisse zu erkennen, abhandengekommen ist.
Wie beim direkten Vorgänger kombinieren sie erneut progressiven Metal und Core mit Indie- und Math-Rock-Elementen. Und auch diesmal beginnt das Album mit orchestralen Klängen kurz und einfühlsam (`Simurg´), bevor – äußerst grob und schreiend, auf die Tasten hauend, die Gitarren abfackelnd – die Ich-Bezogenheit der Gesellschaft angeprangert wird (´Jayus´). Schnaufend und wild geht die Achterbahnfahrt zielgerichtet weiter, deren konzeptionelle Struktur sich im Folgenden offenbart, lässt aber mit der Spende der `Agnosie` einen ersten kleinen himmlischen Höhepunkt im Gesangsbereich erschallen, während leise quietschende Streicherklänge diesen beiläufig im Hintergrund versüßen.
Gerade diese Fähigkeit, auf schier verwirrenden und surreal erscheinenden sowie oft harschen musikalischen Pfaden eine wundervolle Melodielinie zu legen, lassen den Sound von THE HIRSCH EFFEKT so unwahrscheinlich wertvoll erscheinen. Egal ob sie es musikalisch barsch kämpfend, wühlend, schleppend – wie im mit einem experimentellen Tanzkapellen-Part versehenen `Bezoar´ – oder die Gitarren einfach krachen und klingen lassen – wie im Albumhöhepunkt `Emphysema´ -, letztlich geht zumeist die Sonne auf, die Strahlen gelangen durch dunkle Wolken und lassen den Lyrik-Vortrag erstrahlen („Doch immerhin weiß ich diese Lücke für immer bei mir unter meiner Haut“).
Schließlich ist das Leben nur Schall und Rauch, selbst wenn vor dem Abgang aus diesem die letzte Frage unbeantwortet bleiben sollte. `Tombeau´ widmet sich mit einfacher Klavierbegleitung diesem unbefriedigenden Ende, obwohl sowieso keiner mehr zurück blickt, keiner mehr nachfragt (`Fixum´). THE HIRSCH EFFEKT präsentieren dabei einen Höhepunkt nach dem anderen. Das mit fast Spinett-artigen Klavierklängen ausgestattete ´Athesie´ schließt sich dem nur an, bevor ´Dysgeusie´ genauso böse wie `Jayus´ klingt und der lange Abschluss `Cotard´ das Album nochmal himmlisch beendet.
THE HIRSCH EFFEKT können das herausragende Niveau der Vorgänger mühelos halten und setzen mit ´Holon : Agnosie´ einen würdigen Abschluss unter ihre Trilogie. Zudem bewähren sie sich dabei als Meister der bezaubernden Härte, des betörenden Irrsinns und anziehenden Wahnsinns.
(8,5 Punkte)