SCHIZOID LLOYD – The Last Note In God’s Magnum Opus
2014 (Blood Music) – Stil: Avantgarde Metal
Der Schnee liegt für mein Empfinden viel zu hoch, vor all den Türen. Die Dunkelheit lässt nach. Die ersten Strahlen kämpfen um ihre Anerkennung am Firmament, während ein Wagen gerade mühsam den Hang hinaufrollt. Man kann ihn schon von Weitem her, an seinem Diesel-Motor, erkennen. Er bremst, wie üblich, hektisch direkt vor der Zufahrt. Bei diesem Wetter halb vermummt, steigt der gelbe Bote aus und schlürft mit seinen Boots über den ungefegten Weg. Seine Schuhe knarzen im durch das Sonnenlicht schimmernden Schnee. Wie üblich weist ihm ein Pfeil auf einem kleinen handgefertigten Pappschild den Weg Richtung Baumhaus. Dort wird seine Ankunft selbstverständlich schon lange sehnsüchtig erwartet – wie an jedem Morgen. Dieses Mal kam die Lieferung aus dem hohen Norden, eine kleine Lieferung aus mehreren über Monate hinweg angesammelten Bestellungen. Als der gelbe Bote gerade energisch an der Türe klopfen will, öffnet sich diese schon, bevor nur der leiseste Ton erschallen kann. Flugs das Paket entgegen genommen, die Türe knarrend wieder geschlossen und in Richtung Vinyl-Player gehüpft. Ritsch-ratsch – schon ist die Kiste offen. Vom Verpackungsmüll befreit, erblickt reichlich schwarzes Gold das Licht des Morgens. Eine ziemlich bunte Hülle scheint dabei besonders ansprechend zu sein. Also raus aus dem Papier, rauf auf den Spieler. Die Rille, sie soll glühen.
Denn die niederländischen Avantgarde Metaller SCHIZOID LLOYD haben es acht Jahre nach ihrer Gründung endlich geschafft, ihr Debüt-Album herauszubringen. Und dabei erwartet den Hörer nichts anderes als der pure musikalische Wahnsinn. Manche würden es als den puren Irrsinn bezeichnen. Irrsinn und Wahnsinn reichen sich hier sowieso, in dieser hölzernen Hütte, die Hand. Mein Nachbar lässt gerade den richtig teuren Wein am Herde glühen. Ein Schlückchen werden wir uns daher wohl in Bälde gönnen. Derweil mein Nachbar schon recht heftig glüht, von Innen und von Außen. Die Musik spielt dazu überbordend auf. Wer sich beim DIABLO SWING ORCHESTRA und bei UNEXPECT wunderbar aufgehoben fühlt, wird es auch bei SCHIZOID LLOYD sein. Wer mit FRANK ZAPPA seine Zähne putzt und sich anschließend zu MR. BUNGLE die rohen Eier die Kehle hinunterschubst ist es hier erst recht. Wer den Bass von Les Claypool liebt, sich die musikalische Schnitzeljagd eines Ziltoid á la TOWNSEND reinpfeift, braucht dabei auch keine Angst vor Operngesang zu haben, der gerne bei solcher Musik mit eingeflochten wird, denn hier erklingt zwar vereinzelt Chorgesang, aber es gibt keinerlei Ariendarbietungen. Zwar etwas Bombast, dazu erschallen jedoch meist die fettesten Riffs.
Plötzlich rumpelt es auf dem Dach. Kleine Tapsen schaben über die Baumhausbedeckung. Neuer Besuch scheint sich anzukündigen. Der Krach wird immer lauter bis er schließlich abrupt verstummt. Mein Nachbar, der über dem Topf geradewegs die guten Dämpfe einatmet, schaut kurz zu mir herüber. Ich krame ein paar Pilze aus der oberen Westentasche und gehe zur Tür. Quietschend bewegen sich die Scharniere und gewähren einen Spalt breit den Blick hinaus in die freie Natur. Vor dem Haus warten mittlerweile unzählige Eichhörnchen, als hätten sie sich zu einer Versammlung vor dem Baumhaus verabredet. Manche hüpfen freudig auf ihren Hinterbeinen. Andere wedeln noch eifrig mit ihrem Schwanz. Diese lieben Gesellen, fährt es mir durch den Kopf, sollen heute nicht leer ausgehen und werfe ihnen eine Handvoll getrockneter Pilze hin. Zuerst etwas vorsichtig, dann nähert sich eines nach dem anderen, um etwas von diesen leckeren Pilze zu erhaschen. Eichhörnchen können ja sogar giftige Pilze fressen, da ihr Verdauungstrakt die Pilze schon wieder ausgeschieden hat, bevor das Gift vom Körper überhaupt aufgenommen werden kann. Aber meine Pilze sind nur von feinster Qualität. Beste Ware. Da sollen mir keine Klagen kommen. Währenddessen haben sich zwei Eichhörnchen ins Haus geschlichen und sind an den Boxen gelandet. Dort krallen sie sich fest und hören womöglich den Klängen aus dem neuen Vinyl zu. Plötzlich, nach etwas akustisch wirkender Musik, endet das Album und der Tonarm fährt zurück. Die Eichhörnchen rümpfen beide kurze ihre Schnauzen, als mein Nachbar sie erspäht und aus dem Haus vertreiben will. Mit erhobener Hand gebiete ich ihm Einhalt. Plötzlich haben beide Eichhörnchen eine Walnuss in den kleinen Pfoten. Fast gleichzeitig öffnen beide diese. Heraus kommt jeweils ein kleiner Zettel. Beide halten diesen in die Luft. Auf dem einen steht eine sechs, auf dem Zettel des zweiten Eichhörnchens eine acht. Was dies wohl bedeuten mag. Plötzlich grummelt es über uns und mit großem Karacho sowie viel Gepolter rutschen die Schneemassen vom Dach des Baumhauses. Ich drehe mich blitzartig um und schaue gerade noch aus dem Fenster, als die vor dem Haus hüpfenden Eichhörnchen, wie von einer Lawine begraben, mit Schnee überschüttet werden.