KARI RUESLATTEN – Time To Tell
2014 (Despotz Records) – Stil: Folk-Pop
Mit Kari Rueslåtten und ihrer Band THE 3rd AND THE MORTAL kam womöglich Anfang der 90er der Stein ins rollen, der die Lawine Gothic-Metal mit Frauengesang auslösen sollte. Die von ihr mit THE 3rd AND THE MORTAL eingespielten Veröffentlichungen (`Demo´ – 1993; `Sorrow` EP und `Tears Laid In Earth` – 1994) waren ausnahmslos erhabene Alben mit einer elfenhaften Stimme inmitten eines passenden düsteren Soundkosmos. Doch Rueslåtten verließ die Band und veröffentlichte fortan ihre eigenen Songideen Solo im Folkkontext. Teilweise wurden die Songs auf ihren Alben auch von Ambient- oder Elektronik-Einflüssen geprägt. Daneben war sie 1995 noch am STORM Projekt mit Fenriz (DARKTHRONE) und Satyr (SATYRICON) beteiligt. Im Jahre 2005 erschien dann ihr bislang letztes Werk `Other People’s Stories`.
Nun schenkt Kari Rueslåtten ihren Fans nach langer Abstinenz das fünfte Werk `Time To Tell`. Und dieses Album muss auf keinerlei Soundexperimente zurückgreifen, sondern kann sich voll und ganz auf die im Mittelpunkt stehende Stimme von Kari Rueslåtten verlassen. Selbst die zarte Neueinspielung des THE 3rd AND THE MORTAL Klassikers `Why So Lonely´ hätte es unter der Mitwirkung von Tuomas Holopainen (NIGHTWISH) gar nicht bedurft. Die Tatsache, dass `Why So Lonely´ überhaupt nicht gegenüber den anderen Songs hervorsticht, sagt etwas über die glänzende Liedersammlung aus.
Am stärksten fangen die Töne pure Emotionen ein, wenn Rueslåtten, wie beim Intro-Song `Time To Tell`, nur vom Piano begleitet wird. Aber auch anschließend bei dem mit zartem Mellotron und Gitarren bestückten `Hide Underneath Bridges` oder bei einem der weiteren Höhepunkte `Wintersong` wird der Hörer den starken Gefühlen gewahr. Ebenso lässt sich das zum Bersten angespannt ruhige `Paint The Rainbow Grey` annähernd nur mit der ganz frühen TORI AMOS vergleichen. Selten kann eine Stimme, ohne in traurige Brüchigkeit zu verfallen, so sehr die Seele berühren. `Waltz Across The Sky´ lädt dann förmlich zum Tanz zwischen den Wolken ein. Gemahnt die folkige Stimmung flüchtig gar an nicht ganz so düstere HUMAN DRAMA oder MIDNIGHT CHOIR, erinnert die Ausdruckskraft bei `Hold On` fast an die Isländer SIGUR RÓS. Obwohl jedes Lied von einem tollen Refrain gekrönt wird, hat `Shoreline` wohl die zugänglichste Variante zu bieten.
Nach dem Konzert zum Release von `Time To Tell` in Trondheim sagte Kari Rueslåtten: “Es war fantastisch, wieder auf der Bühne zu stehen, und das Publikum war großartig und bereitete mir einen sehr herzlichen Empfang.” Wahre Größe entsteht oft nach einer großen Stille. Kari Rueslåtten zeigt nach ihrer langen Pause viele außergewöhnliche Momente ihrer gesanglichen Größe.
(9 Punkte)