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THIN LIZZY – Live And Dangerous At Hammersmith Odeon 16th Nov 1976

~ 2024 (Universal Music Recordings) – Stil: Hard Rock ~


Zum diesjährigen „Record Store Day“ gibt es – nach der letztjährigen Veröffentlichung des ersten Konzerts im Hammersmith Odeon vom 14. November 1976 – wiederum ein Doppelalbum auf Vinyl, limitiert auf 4.500 Stück. Und zwar das des dritten Auftritts in London vom 16. November 1976. Es warten also von der 8 CD-´Live And Dangerous´-Box vom letzten Jahr noch weitere fünf Konzerte auf eine Wiederveröffentlichung auf Vinyl. Ob das jetzt jedes Jahr so weitergeht? Wer versteht schon die Veröffentlichungspolitik von Plattenfirmen.

Egal. Ein weiteres Zeugnis der damals (vielleicht) besten Live-Band. Nur ein Song von diesem Konzert hat es auf die ursprüngliche ´Live And Dangerous´-Veröffentlichung von 1978 geschafft: ´Baby Drives Me Crazy´. Der Song wurde von Tony Visconti gekürzt, hier ist er in der ursprünglichen längeren Version hörbar. Ansonsten kann dieses Album mit dem ´Live And Dangerous´-Klassiker aus meiner Sicht nahezu mithalten. Und das sage ich, wo ´Live And Dangerous´ mein absoluter Favorit aller Alben und aller Zeiten ist und bleibt. Auch der letzte der drei Abende im legendären Hammersmith Odeon hat von Anfang an einen hervorragenden Sound.

Der gleiche Start wie an den beiden Tagen zuvor: ´Jailbreak´, ´Massacre´ & ´Emerald´ – großartig! Drei absolute Klassiker zum Einstieg. Dann das mächtige ´Johnny´, ein weiteres meiner absoluten Lieblingslieder. Leider – wie manche andere Perle – verständlicherweise auf dem Original 1978 nicht berücksichtigt. Brian „Robbo“ Robertson ist an diesem Abend wirklich Feuer und Flamme. Was damals noch nicht vorhersehbar war: Dieses Konzert würde für ihn persönlich ein langer Abschied vom Gitarrenspiel sein (nicht ganz, am 18. November fand noch ein Heimspiel für THIN LIZZY in Dublin statt). Weiteres dazu weiter unten. Direkter Übergang von ´Johnny´ in einen der harten Songs von ´Nightlife´ – ´It’s Only Money´. Noch eine Rarität im veröffentlichten LIZZY-Live-Katalog.

Als nächstes eine fast 10-minütige Version von ´Still In Love With You´. Wieder mit Textzeilen vom – erst 1979 auf ´Black Rose´ veröffentlichten – ´With Love´ und einer Textzeile von ´Old Flame´ von ´Johnny The Fox´. Dann folgt ein Klassiker auf den anderen in wirklich hervorragenden Versionen: ´Johnny The Fox Meets Jimmy The Weed´, ´The Boys Are Back In Town´ und auf der dritten Plattenseite ´Rosalie (Cowgirls‘ Song)´ und ein hartes ´Suicide´. Großartiger Gesang von Philip, wie den ganzen Abend. Fantastische Schlagzeugarbeit von Brian Downey, wie während seiner ganzen Karriere. Brian Robertson und Scott Gorham sind zwei unterschätzte Gitarrenhelden.

Als nächstes ein perfektes ´Warrior´, man muss sich nur die Gitarrenlinien von Brian Robertson zu Beginn anhören. Großartig. Sieben Minuten ´Sha-La- La´, das Vehikel für ein längeres Schlagzeugsolo von Brian Downey. Philip Lynott kündigt an: „Brian’s Song. He wrote this“. Und dann auf der vierten Seite zehn Minuten ´Baby Drives Me Crazy´, die vollständige Version, die für ´Live And Dangerous´ (leider) gekürzt wurde. Und ein weiterer für die Live-Konzerte entwickelter Song (für Brian Robertson „Füller“, da hat er den Songs aber Unrecht getan) ´Me And The Boys (Were Wondering How You And The Girls Were Getting Home From Here Tonight)´. Eine klasse Version mit für THIN LIZZY seltenen Jam-Session-artigen musikalischen Ausflügen. Philip kündigt gegen Schluss furios den Einstieg der Musikerkollegen an: „Scott, BD, BR“ und mit einer gewaltigen musikalischen Breitseite kommt es schließlich zum Ende dieses großartigen Auftritts.

Der Rest ist Legende. Eine wilde Party mit den SEX PISTOLS und dem irischen Fußballidol und Philip Lynott-Kumpel George Best folgte an diesem Abend und LIZZY waren bereit, die USA zu erobern, als Robbo am 23. November im Speakeasy bei einer Schlägerei verletzt wurde. Diese Story ist legendär und ausführlich im Internet abrufbar. Robbo bewahrte den sturzbetrunkenen Frankie Miller vor einem Flaschenschlag. Dafür wurde seine Arterie an der Hand durchtrennt. Statt der USA-Tournee, die am 26.11.1976 mit RAINBOW in New York starten sollte und weitere Auftritte u. a. mit Robin Trower vorsah, gab es Frust im Hause THIN LIZZY. Einen wütenden Philip Lynott, der Robbo den Stuhl vor die Tür setzte. Erst 1977 half Gary Moore u. a. auf der Tournee mit QUEEN aus. Und 1977 kehrte ein reumütiger Brian Robertson für Live-Auftritte zurück, die auch auf ´Live And Dangerous´ und der schon jetzt legendären CD-Box berücksichtigt wurden. Bitte bald auf Vinyl veröffentlichen!

Pech wie immer, wenn es um die USA ging. Erst Philips Hepatitis als ´The Boys Are Back In Town´ abhob, später Gary Moores schnelle Flucht auf der ´Black Rose´-Tournee. Aber das sind andere Geschichten. Diese Band wäre auf jeden Fall im November 1976 in den USA in Topform gewesen. Zumindest gibt es hier ein weiteres, absolut großartiges Live-Dokument einer Band auf dem Höhepunkt ihres (Live-)Schaffens. Unschlagbar. Jeder anderen Band damals haushoch überlegen. Glaubt einem THIN LIZZY-Supporter und -Fanatiker und legt euch dieses Album schnell zu. Gefühlt steht die Hälfte der Auflage bald in den einschlägigen Internetbörsen.

Absoluter Klassiker. Da reicht das Punktesystem nicht aus.